Verblendung
blieb lange ganz still liegen. Plötzlich war ihr zum Heulen zumute.
Dragan Armanskij war schon am Verzweifeln, als Lisbeth Salander am Montagnachmittag plötzlich an seine Tür klopfte. Er hatte sie nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen, seit er Anfang Januar die Untersuchung in der Wennerström-Affäre abgeblasen hatte, und jedes Mal, wenn er versucht hatte, sie anzurufen, hatte sie entweder nicht abgenommen oder mit der Erklärung aufgelegt, sie sei beschäftigt.
»Haben Sie Arbeit für mich?«, fragte sie, ohne sich mit unnötigen Begrüßungsfloskeln aufzuhalten.
»Ach, hallo! Wie schön, Sie mal wieder zu sehen. Ich dachte schon, Sie wären gestorben oder so.«
»Ich hatte da ein paar Dinge zu klären.«
»Sie haben ganz schön oft Dinge zu klären.«
»Es war ein Notfall. Aber jetzt bin ich ja wieder da. Haben Sie Arbeit für mich?«
Armanskij schüttelte den Kopf.
»Sorry. Im Moment nicht.«
Lisbeth Salander betrachtete ihn ruhig. Nach einem Weilchen nahm er innerlich Anlauf und sprach weiter.
»Lisbeth, Sie wissen, dass ich Sie mag und Ihnen gerne Aufträge gebe. Aber Sie waren zwei Monate fort, und ich hatte jede Menge Jobs. Sie sind ganz einfach nicht zuverlässig. Ich musste die Aufträge rausgeben, um Ihre Abwesenheit abzufedern, und im Moment habe ich gar nichts.«
»Können Sie bitte mal lauter machen?«
»Was?«
»Das Radio.«
»… das Millennium -Magazin. Die Nachricht, dass der Großindustrielle Henrik Vanger Teilhaber wird und einen Platz im Vorstand von Millennium einnehmen wird, wurde am selben Tag bekannt gegeben, an dem der ehemalige verantwortliche Herausgeber Mikael Blomkvist seine dreimonatige Gefängnisstrafe wegen böswilliger Verleumdung des Geschäftsmannes Hans-Erik Wennerström antritt. Die Millennium -Chefredakteurin Erika Berger erklärte auf der Pressekonferenz, dass Mikael Blomkvist seine Arbeit als Herausgeber wieder aufnehmen wird, sobald die Gefängnisstrafe vorbei ist.«
»Verdammt«, sagte Lisbeth Salander so leise, dass Armanskij kaum sah, wie sich ihre Lippen bewegten. Plötzlich stand sie auf und ging zur Tür.
»Warten Sie. Wo wollen Sie hin?«
»Nach Hause. Ich will ein paar Dinge überprüfen. Rufen Sie an, wenn Sie Arbeit haben.«
Die Neuigkeit, dass Millennium Verstärkung durch Henrik Vanger erfahren hatte, erregte bedeutend mehr Aufsehen, als Lisbeth Salander erwartet hätte. Das Aftonbladet hatte bereits einen längeren Artikel ins Netz gestellt, der Vangers Karriere darstellte und betonte, dies sei das erste Mal seit zwanzig Jahren, dass der ehemalige Großindustrielle öffentlich aktiv geworden sei. Die Nachricht, er sei Teilhaber bei Millennium geworden, schien ungefähr so abwegig, als würden die Großunternehmer Peter Wallenberg oder Erik Penser plötzlich als Sponsoren des radikal-alternativen Ordfront Magasin aktiv werden.
Es war so ein Riesenereignis, dass die 19-Uhr-30-Ausgabe von Rapport die Nachricht an dritter Stelle brachte und ihr drei Minuten widmete. Erika Berger wurde an einem Konferenztisch in der Millennium -Redaktion interviewt. Auf einen Schlag war auch Wennerström wieder zum Nachrichtenthema geworden.
»Wir haben letztes Jahr einen schwerwiegenden Fehler begangen, der dazu geführt hat, dass das Magazin wegen Verleumdung verurteilt wurde. Das bedauern wir natürlich … und wir werden die Geschichte zum gegebenen Zeitpunkt weiterverfolgen.«
»Wie meinen Sie das - die Geschichte weiterverfolgen?«, fragte der Reporter.
»Damit will ich sagen, dass wir irgendwann unsere Version der Geschichte erzählen werden, was wir bis jetzt noch nicht getan haben.«
»Aber das hätten Sie doch beim Prozess tun können.«
»Wir haben uns dagegen entschieden. Aber wir werden selbstverständlich unsere Politik des kritischen Journalismus fortsetzen.«
»Heißt das, Sie halten immer noch an der Geschichte fest, für die Sie verurteilt worden sind?«
»Das kann ich heute nicht kommentieren.«
»Aber Sie haben Mikael Blomkvist nach seinem Urteil doch entlassen.«
»Das ist völlig falsch. Lesen Sie die Pressemitteilung, die wir herausgegeben haben. Er wollte eine Auszeit, er hatte eine Pause dringend nötig. Im Laufe des Jahres wird er als verantwortlicher Herausgeber zu uns zurückkehren.«
Die Kamera machte einen Schwenk durch die Redaktion, während der Reporter schnell die Hintergrundinformationen zu Millenniums turbulenter Geschichte lieferte. Mikael Blomkvist stand für einen Kommentar nicht zur Verfügung. Er
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