Verblendung
saß in der Rullåker-Vollzugsanstalt hinter Gittern, an einem kleinen See mitten im Wald, ein paar Meilen von Östersund entfernt.
Lisbeth Salander bemerkte jedoch, dass Dirch Frode am Rande des Bildschirms zu sehen war, wie er an einer Türöffnung in der Redaktion vorbeieilte. Sie hob die Augenbrauen und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe.
Für die Nachrichtensendungen war es ein ereignisloser Montag gewesen, daher bekam Henrik Vanger ganze vier Minuten in der Neun-Uhr-Sendung. Er wurde im Studio eines Lokalsenders in Hedestad interviewt. Der Reporter begann mit der Feststellung, dass die Industrielegende Henrik Vanger nach zwei Jahrzehnten wieder ins Rampenlicht zurückgekehrt sei. Es folgte ein Abriss von Vangers Leben. Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigten, wie er mit Tage Erlander in den sechziger Jahren Fabriken einweihte. Danach konzentrierte sich die Kamera auf ein Studiosofa, auf dem Henrik Vanger saß, ruhig zurückgelehnt mit überkreuzten Beinen. Er trug ein gelbes Hemd, eine schmale grüne Krawatte und eine saloppe dunkelbraune Strickjacke. Dass er eine magere, alte Vogelscheuche war, konnte niemand übersehen, aber er sprach mit klarer und fester Stimme. Außerdem nahm er kein Blatt vor den Mund. Der Reporter begann mit der Frage, was ihn dazu bewogen habe, Teilhaber bei Millennium zu werden.
» Millennium ist eine gute Zeitschrift, die ich mehrere Jahre mit großem Interesse verfolgt habe. Heute steht das Magazin unter Beschuss. Es hat mächtige Feinde, die einen Anzeigen-Boykott organisieren, um es in die Knie zu zwingen.«
Der Reporter war offenbar nicht auf eine derartige Antwort vorbereitet, witterte jedoch sofort, dass die bereits ziemlich sonderbare Story ganz unerwartete Dimensionen annahm.
»Wer steckt hinter diesem Boykott?«
»Das ist eines der Dinge, die es herauszufinden gilt. Aber lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit erklären, dass Millennium den anderen nicht kampflos das Feld überlassen wird.«
»Sind Sie deswegen als Teilhaber bei Millennium eingestiegen?«
»Es wäre ziemlich ungut für die Meinungsfreiheit, wenn Einzelne die Macht hätten, unbequeme Stimmen in der Medienlandschaft zum Schweigen zu bringen.«
Vanger klang, als wäre er sein ganzes Leben ein engagierter Kämpfer für die Meinungsfreiheit gewesen. Mikael Blomkvist lachte plötzlich lauthals auf, als er seinen ersten Abend im Fernsehzimmer der Anstalt verbrachte. Seine Mitgefangenen warfen ihm verstohlene Blicke zu.
Später am Abend, als er auf dem Bett in seiner Zelle lag, die an ein enges Motelzimmer erinnerte, musste er Henrik und Erika recht geben, die von Anfang an die Vermarktung der Nachricht im Auge gehabt hatten. Ohne mit einem einzigen Menschen über die ganze Sache gesprochen zu haben, wusste er, dass sich die allgemeine Einstellung zu Millennium bereits verändert hatte.
Vangers Auftritt war nichts anderes als eine Kriegserklärung an Hans-Erik Wennerström. Die Botschaft war kristallklar - in Zukunft legst du dich nicht mehr mit einer Zeitschrift an, die sechs Mitarbeiter beschäftigt und deren Jahresbudget dem eines größeren Business-Lunchs für die Wennerstroem Group entspricht. Jetzt musst du dich auch mit dem Vanger-Konzern auseinandersetzen, der zwar nur noch ein Schatten seiner früheren Größe, aber dennoch ein ganz anderes Kaliber ist.
Henrik Vanger hatte im Fernsehen verkündet, dass er bereit war zu kämpfen. Vielleicht hatte er keine Chance gegen Wennerström, aber die Auseinandersetzung würde eine kostspielige Angelegenheit werden.
Erika hatte ihre wenigen Worte mit Bedacht gewählt. Ihre Feststellung, das Magazin habe »seine Version noch nicht erläutert«, rief den Eindruck hervor, dass es durchaus etwas zu erläutern gab. Obwohl Mikael angeklagt und verurteilt worden war und mittlerweile sogar im Gefängnis saß, implizierten ihre Worte, dass eine andere Wahrheit existierte.
Gerade, weil sie das Wort »unschuldig« nicht verwendete, schien seine Unschuld noch sicherer. Die Selbstverständlichkeit, mit der er wieder als verantwortlicher Herausgeber eingesetzt werden sollte, unterstrich, dass Millennium sich für nichts zu schämen brauchte. In den Augen der Allgemeinheit war die Glaubwürdigkeit kein Problem - jeder liebt Verschwörungstheorien -, und da man die Wahl zwischen einem steinreichen Geschäftsmann und einem aufmüpfigen, gut aussehenden Chefredakteur hatte, fiel die Entscheidung, wem man seine Sympathien schenken sollte, nicht schwer. Die Medien würden
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