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Verblendung

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Titel: Verblendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stieg Larsson
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kein böser Mensch, sagte sie sich. In ihrem Bericht hatte es ja auch keine Hinweise darauf gegeben, dass er ein bösartiger Dreckskerl war, der seine Freundinnen misshandelte oder Ähnliches. Sie rief sich in Erinnerung, dass sie alles über ihn wusste - nicht umgekehrt. Wissen ist Macht.
    »Was grinsen Sie denn so?«, fragte sie.
    »Entschuldigung. Ich hatte wirklich nicht vor, Sie einfach zu überfallen. Ich wollte Ihnen auch nicht so einen Schreck einjagen, wie ich es offenbar getan habe. Aber Sie hätten Ihre eigene Miene sehen sollen, als Sie mir die Tür aufmachten. Da konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, mir einen Spaß daraus zu machen.«
    Stille. Zu ihrem eigenen Erstaunen empfand Lisbeth Salander seine ungebetene Gesellschaft als akzeptabel - oder zumindest nicht als unangenehm.
    »Betrachten Sie es einfach als meine Rache dafür, dass Sie in meinem Privatleben herumgeschnüffelt haben«, sagte er fröhlich. »Haben Sie Angst vor mir?«
    »Nein«, antwortete Salander.
    »Gut. Ich bin nicht hier, um Ihnen wehzutun oder Ihnen Schwierigkeiten zu bereiten.«
    »Wenn Sie versuchen, mir wehzutun, werde ich Sie verletzen. Und zwar schwer.«
    Mikael musterte sie. Sie war knapp 1 Meter 50 groß und wirkte nicht so, als hätte sie ihm viel entgegensetzen können, wenn er gewaltsam in ihre Wohnung eingedrungen wäre. Aber ihre Augen waren ausdruckslos und ruhig.
    »Das steht gar nicht zur Debatte«, sagte er schließlich. »Ich habe keine bösen Absichten. Ich muss mit Ihnen reden. Wenn Sie wollen, dass ich gehe, dann müssen Sie es nur sagen.« Er überlegte kurz. »Irgendwie ist das lustig, weil …« Er führte den Satz nicht zu Ende.
    »Was?«
    »Ich weiß nicht, ob das irgendwie verständlich klingt, aber vor vier Tagen wusste ich noch nicht einmal, dass es Sie gibt. Dann bekam ich Ihre Analyse von mir in die Finger«, er wühlte in seiner Umhängetasche und fand den Bericht, »und das war eine eher beunruhigende Lektüre.«
    Er verstummte und sah eine Weile aus dem Küchenfenster. »Kann ich eine Zigarette von Ihnen haben?« Sie schob ihm die Schachtel zu.
    »Sie haben vorhin gesagt, dass wir uns nicht kennen, und ich habe geantwortet, dass wir das sehr wohl tun.«
    Er zeigte auf den Bericht. »Ich konnte noch nicht mit Ihnen gleichziehen - ich habe nur eine kleine Routinekontrolle durchgeführt, um Ihre Adresse und Ihr Geburtsdatum herauszukriegen -, aber Sie wissen definitiv ganz schön viel über mich. Vieles davon ist sehr privat, und nur meine engsten Freunde wissen von diesen Dingen. Und jetzt sitze ich hier in Ihrer Küche und esse Bagels mit Ihnen. Wir kennen uns seit einer halben Stunde, doch ich habe irgendwie das Gefühl, als wären wir alte Bekannte. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Sie nickte.
    »Sie haben schöne Augen«, sagte er.
    »Sie haben nette Augen«, entgegnete sie. Er konnte nicht einschätzen, ob sie das ironisch meinte.
    Schweigen.
    »Warum sind Sie hier?«, fragte sie plötzlich.
    Kalle Blomkvist - der Spitzname kam ihr in den Sinn, und sie unterdrückte den Impuls, ihn laut auszusprechen - sah auf einmal sehr ernst aus. Seine Augen waren müde. Die Selbstsicherheit, mit der er sich vorhin in ihre Wohnung gedrängt hatte, war verschwunden, und sie schloss daraus, dass die Spaßmacherei vorerst vorbei war. Zum ersten Mal bemerkte sie, wie er sie eingehend und nachdenklich musterte. Sie konnte nicht erraten, was in seinem Kopf vor sich ging, aber sie spürte sofort, dass sein Besuch eine Wendung zum Ernsthaften genommen hatte.
     
    Lisbeth Salander wusste sehr wohl, dass sie ihre Nerven nicht wirklich unter Kontrolle hatte. Blomkvists völlig überraschender Besuch hatte sie so schockiert, wie sie es im Zusammenhang mit ihrem Job noch nie erlebt hatte. Sie verdiente ihr Brot damit, andere Menschen auszuspionieren. Eigentlich hatte sie das, was sie für Armanskij machte, nie als richtige Arbeit definiert, sondern eher als komplizierten Zeitvertreib, fast schon als Hobby.
    Um der Wahrheit die Ehre zu geben, liebte sie es, im Leben anderer Menschen herumzuschnüffeln und deren Geheimnisse aufzudecken - das hatte sie selbst schon vor langer Zeit festgestellt. In der einen oder anderen Form hatte sie das getan, so lange sie sich zurückerinnern konnte. Und sie tat es noch heute, nicht nur, wenn Armanskij ihr einen Auftrag gab, sondern manchmal auch zum Vergnügen. Es gab ihr einen Kick, der sie befriedigte. Es war wie ein kompliziertes Computerspiel, mit dem Unterschied, dass es eben

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