Verblendung
aber ich habe mehrere Monate damit verbracht, meine Gefühle unter Verschluss zu halten, während mein ganzes Interesse Wennerström galt … Ich bin noch nicht richtig bereit. Ich wäre froh, wenn Harriet es dir erzählen könnte.«
»Was hast du da für Striemen am Hals?«
»Lisbeth hat mir dort oben das Leben gerettet. Wenn sie nicht da gewesen wäre, wäre ich jetzt tot.«
Erikas Augen weiteten sich. Sie sah das Mädchen in der Lederjacke an.
»Und jetzt musst du eine Vereinbarung mit ihr treffen. Sie ist unsere Informantin.«
Erika blieb eine ganze Weile schweigend sitzen und überlegte. Dann tat sie etwas, das Mikael verblüffte, Lisbeth schockierte und sie selbst überraschte. Die ganze Zeit hatte sie Lisbeth Salanders Blicke auf sich gespürt. Ein schweigsames Mädchen, das Feindseligkeit ausstrahlte.
Erika stand auf, ging um den Tisch herum, schlang die Arme um Lisbeth und drückte sie an sich. Lisbeth wehrte sich wie ein Mehlwurm, der auf den Haken gespießt werden soll.
29. Kapitel
Samstag, 1. November - Dienstag, 25. November
Lisbeth surfte durch Wennerströms Cyber-Imperium. Elf Stunden hatte sie wie festgenagelt vor dem Bildschirm gesessen. Die Idee, die sich in der letzten Woche in Sandhamn in irgendeinem entlegenen Winkel ihres Gehirns materialisiert hatte, war zu einer manischen Beschäftigung geworden. Sie hatte sich vier Wochen lang in ihrer Wohnung isoliert und sämtliche Anrufe von Armanskij ignoriert. Sie hatte zwölf bis fünfzehn, mitunter zwanzig Stunden pro Tag vor dem Computer zugebracht und auch in der verbleibenden Zeit über ein und dasselbe Problem nachgedacht, sofern sie nicht gerade schlief.
Während dieses Monats hatte sie nur sporadischen Kontakt mit Mikael Blomkvist - er war genauso besessen von seiner Arbeit in der Millennium -Redaktion. Sie hatten jede Woche ein paarmal telefoniert, damit sie ihn über Wennerströms Korrespondenz und seine übrigen Aktivitäten auf dem Laufenden halten konnte.
Zum hundertsten Mal ging sie jedes Detail durch. Sie hatte keine Angst, etwas übersehen zu haben, aber sie war sich nicht ganz sicher, ob sie all die verschachtelten Zusammenhänge richtig verstand.
Wennerströms berühmtes Imperium war wie ein unförmiger, pulsierender lebendiger Organismus, der ständig seine Form änderte. Es bestand aus Optionen, Obligationen, Aktien, Firmenanteilen, Kreditzinsen, Ertragszinsen, Pfändern, Konten, Transaktionen und tausend anderen Elementen. Ein überwältigend großer Teil seines Vermögens steckte in Briefkastenfirmen, die sich gegenseitig besaßen.
In den fantastischsten Analysen der BWL-Streber wurde die Wennerstroem Group auf einen Wert von über 900 Milliarden Kronen taxiert. Das war ein Bluff, zumindest aber eine heftig übertriebene Zahl. Aber ein Habenichts war Wennerström auf keinen Fall. Lisbeth schätzte den echten Vermögenswert auf eine Höhe von 90 bis 100 Millionen Kronen, was ja auch nicht übel war. Eine seriöse Revision des gesamten Unternehmens würde Jahre in Anspruch nehmen. Insgesamt hatte Lisbeth an die 3000 verschiedene Konten auf der ganzen Welt identifiziert. Wennerström betrieb seine Betrügereien in einem solchen Ausmaß, dass man von organisierter Kriminalität im großen Stil sprechen musste.
Irgendwo in diesem Wennerströmschen Organismus gab es auch wirklich Substanz. Zwei Guthaben wurden ständig genannt. Die schwedischen Vermögenswerte waren authentisch, mit öffentlicher Prüfung, Jahresabschluss und Revision. Die amerikanische Firma war solide, ihre liquiden Mittel wurden von einer New Yorker Bank verwaltet. Dubios waren hingegen die Aktivitäten der Briefkastenfirmen an Orten wie Gibraltar, Zypern und Macao. Wennerström war wie ein Gemischtwarenladen - für illegalen Waffenhandel, Geldwäsche für suspekte Unternehmen in Kolumbien und äußerst unorthodoxe Geschäfte in Russland.
Ein anonymes Konto auf den Cayman Islands stach heraus: Es wurde von Wennerström persönlich kontrolliert, war aber in keines seiner Geschäfte direkt eingebunden. Ungefähr ein Zehntausendstel jedes Geschäftes, das Wennerström tätigte, floss mit schöner Regelmäßigkeit über diese Briefkastenfirma auf die Cayman Islands.
Salander arbeitete wie unter Hypnose. Konten - klick - Mails - klick - Bilanzen - klick . Sie bemerkte die letzten Geldtransaktionen. Sie verfolgte die Spur einer kleiner Transaktion von Japan nach Singapur und via Luxemburg weiter zu den Cayman Islands. Sie verstand, wie all das
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