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Schlüssel auf. Zum ersten Mal seit seinem kurzen Besuch in der Redaktion an Mittsommer sah sie ihn wieder. Sie ging ins Wohnzimmer, wo sie auf ein anorektisch mageres Mädchen mit abgewetzter Lederjacke traf, die auf dem Sofa saß und ihre schmutzigen Stiefel auf den Tisch gelegt hatte. Im ersten Moment hielt sie das Mädchen für fünfzehn, aber dann sah sie ihre Augen. Sie war immer noch in die Betrachtung dieser Erscheinung versunken, als Mikael mit einer Thermoskanne Kaffee und Gebäck zu ihnen kam.
Mikael und Erika sahen sich an.
»Entschuldige, dass ich so unmöglich war«, sagte Mikael.
Erika legte den Kopf schief. Irgendetwas an Mikael war anders. Er sah ausgemergelt aus, magerer, als sie ihn in Erinnerung hatte. Seine Augen waren verschämt, und einen Moment lang wich er sogar ihrem Blick aus. Verstohlen musterte sie seinen Hals. Der rote Streifen war blasser geworden, aber immer noch deutlich zu erkennen.
»Ich bin dir aus dem Weg gegangen. Das ist alles eine furchtbar lange Geschichte, und ich bin nicht stolz auf die Rolle, die ich darin spiele. Aber dazu kommen wir später … jetzt will ich euch erst mal miteinander bekannt machen. Erika, das ist Lisbeth Salander. Lisbeth, Erika Berger ist Chefredakteurin bei Millennium und meine beste Freundin.«
Lisbeth musterte Erikas elegante Kleider und das selbstsichere Auftreten und beschloss schon nach zehn Sekunden, dass sie höchstwahrscheinlich nicht ihre beste Freundin werden würde.
Das Treffen dauerte fünf Stunden. Erika musste zweimal telefonisch andere Termine absagen. Eine Stunde lang las sie Auszüge des Manuskripts, das Mikael ihr in die Hand gedrückt hatte. Sie hatte tausend Fragen, wusste jedoch, dass es Wochen dauern würde, sie alle zu beantworten. Das Wichtigste stand im Manuskript, das sie schließlich aus der Hand legte. Wenn auch nur ein Bruchteil dieser Behauptungen der Wahrheit entsprach, dann war eine völlig neue Situation entstanden.
Erika sah Mikael an. Sie hatte nie daran gezweifelt, dass er ein ehrlicher Mensch war, vorübergehend war ihr aber der Verdacht gekommen, dass die Wennerström-Affäre ihm psychisch so zusetzte, dass er ein Hirngespinst ausgebrütet hatte. In diesem Moment stellte ihr Mikael zwei Kartons mit ausgedrucktem Quellenmaterial vor die Nase. Erika wurde blass. Natürlich wollte sie wissen, wie er in den Besitz dieses Materials gekommen war.
Es brauchte eine geraume Zeit, sie davon zu überzeugen, dass das eigenartige Mädchen in der Lederjacke, die bisher geschwiegen hatte, Wennerströms Computer kontrollierte. Und nicht nur seinen - sie hatte sich auch in die Computer mehrerer seiner Rechtsanwälte und engsten Mitarbeiter gehackt.
Erikas spontane Reaktion war, dass sie das Material unmöglich verwenden konnten, da es durch Eindringen in fremde Datenbestände gewonnen worden war.
Aber sie konnten es sehr wohl verwenden. Mikael wies darauf hin, dass sie nicht verpflichtet waren, einen Nachweis zu erbringen, wie sie an das Material gekommen waren.
Schließlich wurde Erika klar, was für eine Waffe sie da in der Hand hielt. Sie war erschöpft und hatte immer noch Fragen, wusste aber nicht, wo sie anfangen sollte. Schließlich lehnte sie sich auf dem Sofa zurück und hob ratlos die Arme.
»Was ist da oben in Hedestad passiert, Mikael?«
Lisbeth hob interessiert eine Augenbraue. Mikael schwieg eine ganze Weile. Dann antwortete er mit einer Gegenfrage.
»Wie verstehst du dich mit Harriet Vanger?«
»Gut. Glaube ich. Ich habe sie zweimal getroffen. Christer und ich sind letzte Woche zu einer Vorstandssitzung nach Hedestad gefahren. Wir haben ziemlich viel Wein getrunken.«
»Und wie lief die Sitzung?«
»Sie hält Wort.«
»Ricky, ich weiß, wie frustriert du darüber bist, dass ich dir ausgewichen bin und nach Vorwänden gesucht habe, um dir nichts erzählen zu müssen. Wir haben nie Geheimnisse voreinander gehabt, und plötzlich gibt es da ein halbes Jahr in meinem Leben, von dem … von dem ich dir nichts erzählen kann.«
Erika sah Mikael an. Sie kannte ihn in- und auswendig, aber jetzt entdeckte sie in seinen Augen einen neuen Ausdruck. Sein Blick hatte etwas Flehendes. Er flehte sie an, nicht weiter zu fragen. Sie machte den Mund auf und sah ihn hilflos an. Lisbeth beobachtete ihre stumme Konversation mit neutralem Blick. Sie mischte sich nicht ein.
»War es so schrecklich?«
»Noch viel schlimmer. Ich hatte Angst vor diesem Gespräch. Ich verspreche dir, dass ich dir alles erzählen werde,
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