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funktionierte. Sie war wie ein Teil der elektrischen Impulse im Cyberspace. Kleine Veränderungen. Die neueste Mail. Eine einzige magere Mail von peripherem Interesse, die er um zehn Uhr abends abgeschickt hatte. Das Verschlüsselungsprogramm PGP, ratter, ratter, ein Kinderspiel für jemand, der bereits in seinem Computer war und die Mitteilung decodiert lesen konnte:
[Berger hat aufgehört, um Anzeigenkunden zu kämpfen. Hat sie aufgegeben, oder brütet sie irgendetwas anderes aus? Ihr Informant in der Redaktion hatte ja versichert, dass das Magazin auf dem absteigenden Ast ist, aber es sieht so aus, als wäre gerade eine neue Mitarbeiterin eingestellt worden. Finden Sie raus, was da läuft. Blomkvist hat die letzten Wochen draußen in Sandhamn geschrieben wie ein Geisteskranker, aber keiner weiß, woran er schreibt. In den letzten Tagen ist er in der Redaktion aufgetaucht. Können Sie ein Vorabexemplar der nächsten Millennium-Nummer besorgen? HEW]
Nichts Dramatisches. Lass ihn nur grübeln. Dein Schicksal ist besiegelt, Alter.
Um halb sechs Uhr morgens schaltete sie den Computer aus und suchte nach einer unangebrochenen Schachtel Zigaretten. Sie hatte in der Nacht vier, nein, fünf Flaschen Coca-Cola getrunken, holte sich eine sechste und setzte sich aufs Sofa. Sie trug nur eine weiße Unterhose und ein verwaschenes Werbe-T-Shirt in Tarnfarben vom Soldier of Fortune Magazine mit der Aufschrift Kill them all and let God sort them out . Sie gab sich der politischen Analyse dieses Textes nicht weiter hin, bemerkte aber, dass sie fror, und wickelte sich in eine Wolldecke.
Sie war high, als hätte sie Drogen genommen. Sie konzentrierte ihren Blick auf eine Straßenlaterne vor ihrem Fenster und blieb ganz still sitzen, während ihr Gehirn auf Hochtouren lief. Mama - klick - meine Schwester - klick - Mimmi - klick - Holger Palmgren. Evil Fingers. Und Armanskij. Der Job. Harriet Vanger. Klick . Martin Vanger. Klick . Der Golfschläger. Klick . Rechtsanwalt Bjurman. Klick . Jedes verdammte Detail, das sie nicht vergessen konnte, egal, wie sehr sie sich bemühte.
Sie fragte sich, ob Bjurman sich wohl jemals wieder vor einer Frau ausziehen würde, und wenn ja, wie er das Tattoo auf seinem Bauch erklärte. Und wie er es vermeiden wollte, bei seinem nächsten Arztbesuch seine Kleidung abzulegen.
Und Mikael Blomkvist. Klick .
Sie hielt ihn für einen guten Menschen, auch wenn sein Streber-Komplex manchmal überhandnahm. Außerdem war er unerträglich naiv in gewissen grundlegenden Moralfragen. Er war eine nachsichtige Natur und suchte ständig Erklärungen und psychologische Rechtfertigungen für das Tun der Menschen, weil er nicht begriff, dass die Raubtiere dieser Welt nur eine Sprache verstanden. Sie empfand einen fast schon lästigen Beschützerinstinkt, wenn sie an ihn dachte.
Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie eingeschlafen war, wachte aber am nächsten Morgen um neun Uhr mit steifem Genick auf dem Sofa auf, den Kopf schräg nach hinten an die Wand gelehnt. Sie taumelte ins Schlafzimmer und schlief wieder ein.
Zweifellos war dies die wichtigste Reportage ihres Lebens. Erika war zum ersten Mal seit achtzehn Monaten wieder so glücklich, wie es nur eine Herausgeberin sein kann, die eine Riesenstory in petto hat. Als sie dem Artikel gemeinsam mit Mikael den letzten Schliff gab, rief Lisbeth ihn auf seinem Handy an.
»Ich habe vergessen zu sagen, dass Wennerström nach all deinem Geschreibe in der letzten Zeit unruhig geworden ist und ein Vorabexemplar eurer nächsten Nummer bestellt hat.«
»Woher weißt du … ach, vergiss es. Irgendwelche Infos, wie er das anstellen will?«
»Nein. Aber es gäbe da einen guten Tipp, wenn man mal logisch nachdenkt.«
Mikael überlegte kurz. »Die Druckerei«, platzte er heraus.
Erika hob die Augenbrauen.
»Wenn ihr in der Redaktion wirklich alle dichthaltet, dann gibt es nicht mehr viel andere Möglichkeiten. Solange nicht einer seiner Handlanger vorhat, Millennium einen nächtlichen Besuch abzustatten.«
Mikael wandte sich an Erika: »Buch eine neue Druckerei für diese Nummer. Sofort. Und ruf Armanskij an - ich will hier während der nächsten Woche Nachtwachen haben.« Wieder an Lisbeth gewandt: »Danke, Sally.«
»Was war dir das wert?«
»Wie meinst du das?«
»Was war dieser Tipp wert?«
»Was willst du haben?«
»Das will ich bei einem Kaffee mit dir besprechen. Sofort.«
Sie trafen sich in der Kaffeebar an der Hornsgata. Als Mikael sich neben ihr
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