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Verblendung

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Titel: Verblendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stieg Larsson
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ich von Ihnen möchte, ist, dass Sie sich meine Geschichte ganz zu Ende anhören - auch das, was Sie für mich tun sollen und was ich Ihnen dafür anbiete -, bevor Sie entscheiden, ob Sie den Auftrag annehmen wollen oder nicht.«
    Mikael seufzte. Es war offensichtlich, dass Henrik Vanger nicht vorhatte, sich kurz zu fassen. Und selbst wenn er Frode anrief und ihn bat, ihn zum Bahnhof zu fahren, würde dessen Auto wegen der Kälte nicht anspringen, da war er ganz sicher.
    Offenbar hatte der alte Mann viel Zeit darauf verwendet, sich den richtigen Köder für ihn auszudenken. Mikael hatte den Eindruck, dass alles eine wohlüberlegte Inszenierung war: die überraschende Eröffnung, dass er Henrik Vanger als Kind schon begegnet war; das Bild seiner Eltern im Fotoalbum und die Betonung, dass Mikaels Vater und Henrik Vanger Freunde gewesen waren; die Schmeichelei, dass er wusste, wer Mikael Blomkvist war und dass er seine Karriere über die Jahre aus der Ferne beobachtet hatte … in all dem steckte vermutlich ein Körnchen Wahrheit, aber es war auch ganz elementare Psychologie. Mit anderen Worten: Henrik Vanger konnte Menschen gut manipulieren und hatte im Laufe der Jahre auf geheimen Vorstandssitzungen Erfahrungen mit bedeutend tougheren Menschen sammeln können. Nicht zufällig war er zu einem von Schwedens führenden Industriemagnaten aufgestiegen.
    Mikael folgerte, dass Henrik Vanger etwas von ihm wollte, wozu er nicht die geringste Lust hatte. Jetzt galt es nur noch herauszufinden, was es war, und danach abzulehnen. Und möglicherweise doch noch den Nachmittagszug zu erwischen.
    »Sorry, no deal«, antwortete Mikael. Er sah auf die Uhr. »Ich bin seit zwanzig Minuten hier. Ich gebe Ihnen genau dreißig Minuten, mir zu erklären, was Sie wollen. Danach rufe ich mir ein Taxi und fahre nach Hause.«
    Einen Augenblick lang fiel Henrik Vanger aus seiner Rolle als gutherziger Patriarch, und Mikael konnte ahnen, wie der rücksichtslose Geschäftsführer auf dem Höhepunkt seiner Macht ausgesehen hatte, wenn er auf Widerstand stieß oder sich mit einem widerspenstigen Juniorgeschäftsführer auseinandersetzen musste. Ebenso schnell kräuselte wieder ein grimmiges Lächeln seine Lippen.
    »Ich verstehe.«
    »Sagen Sie mir einfach ohne Umschweife, was ich für Sie tun soll; dann kann ich entscheiden, ob ich es tun will oder nicht.«
    »Wenn ich Sie in dreißig Minuten nicht überzeugen kann, schaffe ich es auch nicht in dreißig Tagen, wollen Sie damit sagen.«
    »So ungefähr.«
    »Aber die Vorgeschichte ist wirklich lang und kompliziert.«
    »Verkürzen und vereinfachen Sie sie. Das ist in Journalistenkreisen so üblich. Neunundzwanzig Minuten.«
    Henrik Vanger hob eine Hand. »Das reicht. Ich habe begriffen, worum es Ihnen geht. Ich brauche einen Menschen, der recherchieren und kritisch denken kann, der aber auch integer ist. Ein guter Journalist sollte diese Eigenschaften vermutlich besitzen, und ich habe Ihr Buch Die Tempelritter mit großem Interesse gelesen. Es ist wahr, dass ich Sie ausgewählt habe, weil ich Ihren Vater kannte und weiß, wer Sie sind. Wenn ich richtig verstanden habe, sind Sie nach der Wennerström-Affäre von Ihrer Zeitung entlassen worden oder aus eigenem Wunsch ausgeschieden. Das bedeutet, dass Sie in nächster Zukunft keine Anstellung haben, und es bedarf keines großen Scharfsinns, um zu vermuten, dass Sie in finanziellen Schwierigkeiten sind.«
    »Und diese Schwierigkeiten kommen Ihnen gerade recht?«
    »Möglicherweise. Aber Mikael - ich darf Sie doch Mikael nennen? -, ich will Sie nicht anlügen oder Vorwände erfinden. Für so etwas bin ich zu alt. Wenn Ihnen mein Angebot nicht zusagt, können Sie mir sagen, dass ich mich zum Teufel scheren soll. Dann muss ich mir jemand anders suchen, der für mich arbeiten will.«
    »Okay, worin besteht der Job, den Sie mir anbieten wollen?«
    »Wie viel wissen Sie über die Familie Vanger?«
    Mikael zuckte mit den Achseln. »Na ja, so viel wie ich eben im Internet nachlesen konnte, seit Frode mich am Montag angerufen hat. Zu Ihrer Zeit war Vanger einer der wichtigsten schwedischen Industriekonzerne, heute ist das Unternehmen beträchtlich dezimiert. Martin Vanger ist Geschäftsführer. Okay, ich weiß noch eine Menge mehr, aber worauf wollen Sie hinaus?«
    »Martin ist … er ist ein guter Kerl, aber im Grunde ein Mensch, der sich noch nie mit richtigen Schwierigkeiten auseinandergesetzt hat. Er ist als Geschäftsführer völlig unzureichend für einen

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