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krisengeschüttelten Konzern. Er will modernisieren und die Produktion spezialisieren - was an sich ein richtiger Gedanke ist -, aber er tut sich schwer, seine Ideen durchzusetzen, und noch schwerer, die nötige Finanzierung auf die Beine zu stellen. Vor fünfundzwanzig Jahren war Vanger noch ein ernster Konkurrent für das Imperium der Wallenberg-Familie. Wir hatten ungefähr 40 000 Angestellte in Schweden. Das bedeutete Arbeitsplätze und Einkünfte für das ganze Land. Heute sind die meisten dieser Arbeitsplätze in Korea oder Brasilien. Wir sind derzeit bei knapp 10 000 Angestellten, und in ein oder zwei Jahren - wenn Martin bis dahin nicht ein bisschen Aufwind bekommen hat - müssen wir die Mitarbeiterzahl auf 5000 Angestellte reduzieren, hauptsächlich in den kleinen Zulieferbetrieben. Mit anderen Worten: Das Unternehmen Vanger steht im Begriff, auf der Mülldeponie der Geschichte zu landen.«
Mikael nickte. Was Henrik Vanger erzählte, entsprach in ungefähr dem, was er selbst innerhalb kürzester Zeit am Computer herausgefunden hatte.
»Vanger ist immer noch eins der größten Familienunternehmen des Landes. Knapp dreißig Familienmitglieder sind Teilhaber, mit unterschiedlich großen Anteilen. Das war immer eine der Stärken des Konzerns, aber auch unser größter Nachteil.«
Vanger legte eine Kunstpause ein und sprach dann eindringlich weiter. »Mikael, Sie können Ihre Fragen später stellen, aber Sie müssen mir unbedingt glauben, wenn ich Ihnen sage, dass ich die meisten Mitglieder der Familie Vanger hasse. Meine Familie besteht größtenteils aus Räubern, Geizkragen, Tyrannen und Taugenichtsen. Ich habe das Unternehmen fünfunddreißig Jahre lang geführt - fast die ganze Zeit in unversöhnlichem Konflikt mit allen anderen Familienmitgliedern. Sie waren meine schlimmsten Feinde, nicht konkurrierende Firmen oder der Staat.«
Er machte eine Pause.
»Ich habe gesagt, dass ich Sie mit zwei Dingen beauftragen will. Ich möchte, dass Sie eine Art historische Abhandlung oder Biografie der Familie Vanger schreiben. Einfacher ausgedrückt, können wir es auch meine Autobiografie nennen. Das wird sicher keine Sonntagspredigt werden, sondern eine Geschichte von Hass und Familienstreitigkeiten und maßloser Habsucht. Ich stelle Ihnen meine gesamten Tagebücher und Archive zur Verfügung. Sie haben freien Zugang zu meinen innersten Gedanken und können den ganzen Mist, den Sie zutage fördern, ohne Einschränkung veröffentlichen. Ich glaube, neben dieser Geschichte wird Shakespeare wie seichte Familienunterhaltung aussehen.«
»Warum?«
»Warum ich will, dass Sie eine Skandalchronik der Familie Vanger veröffentlichen? Oder was ich für Motive habe, Sie um die Ausarbeitung dieser Abhandlung zu bitten?«
»Beides, würde ich sagen.«
»Ich will Sie nicht belügen, Mikael. Ehrlich gesagt, ist es mir egal, ob das Buch veröffentlicht wird oder nicht. Aber ich finde, dass die Geschichte auf jeden Fall niedergeschrieben werden muss, wenn auch nur in einem einzigen Exemplar, das Sie direkt an die Königliche Bibliothek schicken. Nach meinem Tod soll das Buch dann der Nachwelt zugänglich gemacht werden. Mein Motiv ist das einfachste, das man sich nur denken kann: Rache.«
»An wem wollen Sie sich rächen?«
»Sie brauchen mir nicht zu glauben, aber ich habe mich immer bemüht, ein Ehrenmann zu sein, auch als Kapitalist und Chef eines Unternehmens. Ich bin stolz darauf, dass der Name Henrik Vanger für einen Mann steht, der sein Wort gehalten und seine Versprechen erfüllt hat. Ich habe niemals politische Spielchen betrieben. Ich habe bei Verhandlungen nie Probleme mit den Gewerkschaften gehabt, und sogar ein Tage Erlander hatte seinerzeit Respekt vor mir. Es ging mir um Ethik: Ich trug die Verantwortung für das Auskommen mehrerer tausend Menschen, und ich sorgte für meine Angestellten. Martin hat dieselbe Einstellung, wenn er auch ein ganz anderer Mensch ist als ich. Auch er hat versucht, das Richtige zu tun. Es ist uns vielleicht nicht immer gelungen, aber im Großen und Ganzen gibt es wenig, wofür ich mich schäme.
Leider sind Martin und ich die seltenen Ausnahmen in unserer Familie«, fuhr Vanger fort. »Es gibt viele Gründe, warum der Konzern heute auf dem absteigenden Ast ist, doch einer der wichtigsten ist die kurzsichtige Gier, die viele meiner Verwandten an den Tag legen. Wenn Sie den Auftrag annehmen, werde ich genau erklären, wie sie es angestellt haben, das Unternehmen derart in den Morast zu
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