Verborgene Lust
Mineralwasser und sah Ian Noble zu, wie dieser mit dem Handy am Ohr am anderen Ende des Raums stand und knappe Anweisungen erteilte. Seine leicht nach unten gezogenen Mundwinkel verrieten, dass er sich über irgendetwas ärgerte. Aus irgendeinem Grund spürte Francesca, wie sie sich angesichts dieser allzu menschlichen Regung ein wenig entspannte. Sie hatte ihren Mitbewohnern verschwiegen – bei ihnen genoss sie den Ruf, sich von nichts und niemandem aus der Ruhe bringen zu lassen –, dass sie die Aussicht, Ian Noble persönlich kennenzulernen, merkwürdigerweise ziemlich nervös machte.
Die Gäste wandten sich wieder ihren Gesprächen zu, dennoch schien sich mit Nobles Auftauchen die Atmosphäre im Restaurant verändert zu haben. Schon seltsam, dass ein so eleganter, weltgewandter Mann in der technikverrückten Jeans-und-T-Shirt-Generation als Ikone galt. Noble musste um die dreißig sein. Sie hatte irgendwo gelesen, er habe vor Jahren mit seinem bahnbrechenden Social-Media-Unternehmen seine erste Milliarde gemacht; dessen Börsengang hatte ihm weitere dreizehn Milliarden eingebracht, ehe er unverzüglich das nächste Unternehmen, einen nicht minder erfolgreichen Internetversand, aus dem Boden gestampft hatte.
Es sah ganz so aus, als würde alles zu Gold, was Ian Noble anfasste. Aber wieso nur? Ganz einfach: weil er Ian Noble war. Er konnte praktisch alles tun, was ihm gerade in den Sinn kam. Francesca musste ein Grinsen unterdrücken. Ja, es half definitiv, sich ihn als arroganten und unsympathischen Wichtigtuer vorzustellen. Na schön, er war ihr Mäzen, aber ebenso wie alle anderen Künstler im Verlauf der Jahrhunderte hegte auch Francesca ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber demjenigen, der das nötige Kleingeld springen ließ, damit sie ihrer Tätigkeit nachgehen konnte. Leider war so gut wie jeder Künstler auf seinen persönlichen Ian Noble angewiesen.
»Ich gehe nur kurz rüber und sage ihm, dass Sie hier sind. Wie gesagt, er war sehr angetan von Ihrem Gemälde und hat es ohne mit der Wimper zu zucken den beiden anderen Finalisten vorgezogen.« Lin sprach von der Ausschreibung, die Francesca für sich entschieden hatte. Infolgedessen durfte sie das Gemälde im feudalen Eingangsbereich von Nobles neu erbautem Wolkenkratzer in Chicago malen, ein höchst lukrativer und sehr begehrter Auftrag. Der Cocktailempfang zu Francescas Ehren fand im Fusion statt, einem der angesagtesten Nobelrestaurants, das ebenfalls im Noble Enterprises Building untergebracht war. Und was noch viel wichtiger war: Francesca würde hunderttausend Dollar bekommen, was für eine Kunststudentin, die jeden Tag ums nackte Überleben kämpfte, ein wahrer Segen war.
Ehe Lin verschwand, stellte sie ihr eine junge Afroamerikanerin namens Zoe Charon vor, die Francesca solange Gesellschaft leisten sollte.
»Freut mich sehr, Sie kennenzulernen.« Zoe verzog den Mund zu einem strahlenden Lächeln, das jeden Zahnarzt ins Schwärmen gebracht hätte, und schüttelte Francesca die Hand. »Und herzlichen Glückwunsch zu dem Auftrag. Bald werde ich Ihr Bild jeden Morgen sehen, wenn ich zur Arbeit komme.«
Beim Anblick von Zoes Kostüm verspürte Francesca das vertraute Unbehagen, das sie überfiel, wann immer sie ihr Äußeres mit anderen verglich. Lin, Zoe und sämtliche anderen Gäste waren in diesem typisch schlichten, aber eleganten Stil gekleidet. Woher hätte sie auch wissen sollen, dass sie mit ihrem Boho-Chic bei einer Party von Ian Noble nicht punkten konnte? Und dass die Marken, die sie trug, noch nicht mal das Attribut »chic« verdienten.
Sie erfuhr, dass Zoe als Assistant Manager in einer Abteilung namens Imagetronics bei Noble Enterprises arbeitete. Was zum Teufel sollte das denn sein ?, fragte sich Francesca abwesend und nickte höflich, während ihr Blick ein weiteres Mal zum Eingang schweifte.
Der angespannte Zug um Ian Nobles Mund wich einem distanzierten, gelangweilten Ausdruck auf seinen Zügen, als Lin auf ihn zutrat. Er schüttelte kurz den Kopf und sah auf seine Uhr. Offenbar verspürte Noble ebenso wenig Lust auf das Begrüßungsritual eines der zahlreichen Künstler, die in den Genuss seines philantropischen Engagements kamen, wie umgekehrt. Für Francesca stellte der Cocktailempfang zu ihren Ehren eine lästige Pflicht dar, die nun einmal mit dem Gewinn der Ausschreibung einherging.
Sie schenkte Zoe ein strahlendes Lächeln. Nun, da sie erkannt hatte, dass ihre Nervosität, weil sie Ian Noble bald gegenübertreten
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