Verborgene Lust
lächerlich wirkt. Sie bemerkt, wie groß und wie freundlich seine Augen sind. Wenn er sich den Schnurrbart abrasierte, könnte er eigentlich ganz attraktiv aussehen. Sie verdrängt den Gedanken und bereitet sich darauf vor, wie er auf ihre Neuigkeit reagieren wird.
»Du musst wissen, dass ich ein Baby bekomme.« Sie schließt fest die Augen und richtet das Gesicht zum Himmel. »Du verschwendest deine Zeit mit mir. Ich bin ein fehlerhaftes Produkt.«
Einen Augenblick sagt Guido nichts. Maria lauscht den Geräuschen von Venedig: den Rufen der Markthändler, den Rudern, die ins Wasser des Kanals tauchen, dem Plätschern des Wassers und einer Kirchenglocke, die in der Ferne schlägt.
»Maria«, sagt Guido schließlich. »Sieh mich an, Maria.«
Sie neigt den Kopf und öffnet die Augen. Voller Ernst sieht er sie an, und Maria begreift, dass er sie liebt. Und zum ersten Mal, seit sie Paris verlassen hat, spürt sie eine kleine Regung in ihrem Herzen. Guido ist ein guter Freund. Sie weiß, dass er sie trotz der Umstände nicht verlassen wird. Sie will, dass ihr Kind einen Vater hat. Und deshalb sind seine nächsten Worte keine Überraschung für sie, vielmehr hat sie bereits beschlossen, ihn zu nehmen. Sie will nicht noch einen Tag allein sein.
»Willst du mich heiraten?«, fragt Guido.
Nach der Hochzeit und unter tränenreichen Umarmungen und Küssen ihrer geliebten Mütter verabschieden sich Maria und Guido und ziehen nach Mailand. Maria wird eine treue Ehefrau und eine hingebungsvolle Mutter. Sie fängt sogar an zu stricken und widmet ihr Leben dem Kochen und der Versorgung von Mann und Tochter. Das ist die Großmutter, von der Valentina gehört hat: eine freundliche, stark gläubige Frau, die nach einem ruhigen Leben strebte. Maria hat Mailand nicht verlassen, bis sie fünfundzwanzig Jahre später ihren Mann damit überraschte, dass sie gern nach New York reisen würde. Sie wollte eine alte Freundin aus Pariser Zeiten besuchen, eine Vivienne, die Herausgeberin von Harper’s Bazaar . Diese Information hatte ihre Tochter Tina ziemlich überrascht. Woher um alles in der Welt kannte ihre Mutter eine solche Frau? Sie erhielt nicht mehr die Gelegenheit, sie zu fragen, denn ihre Eltern sollten nicht von der Amerikareise zurückkehren. Irgendwo über dem Atlantischen Ozean stürzte die Maschine ab, und Marias Geheimnisse schienen für immer begraben zu sein. Bis zu dem Tag, an dem Thomas den Tanzfilm von ihr gefunden und Anita die alten erotischen Filme ausgegraben hatte. So lebt sie weiter, Maria, die geschmeidige, sinnliche Liebhaberin, die übermütige junge Frau, die an die Kraft der Liebe glaubte. Sie lebt in ihren Filmen, und sie lebt auch in Valentina fort. Nur einmal in ihrer gesamten Ehe – und zwar in ihrer Hochzeitsnacht – hat Guido Maria gebeten, für ihn zu tanzen. Doch Maria blieb sitzen und presste sittsam die Hände im Schoß zusammen, über dem sich unter ihrem weißen Kleid ein kleiner Bauch wölbte.
»Frag mich das nie wieder«, tadelte sie ihn. Und das tat er auch nicht.
Doch in jener Nacht zeigte sie ihrem Mann ihre erotische Seite. Sie vertiefte und bereicherte seine Liebe, sodass er Maria bis zu seinem Tod treu blieb. Und Maria fühlte sich fast so wie einst mit Felix. Aber doch nicht ganz.
Valentina
Am Tag bevor sie Sorrento verlassen wollen, fahren Valentina und Thomas mit der Fähre nach Capri. Selbst als sie sich zum ersten Mal in Mailand begegnet sind, ist Thomas nicht so aufgekratzt gewesen. Vermutlich ist er froh, dass seine Tage als Kunstdieb – oder »Kunstwiederbeschaffer«, wie er sich selbst nennt – vorbei sind. Seine Familie hat ihre Schuld endlich beglichen. Thomas ist frei von allen Verpflichtungen der Vergangenheit.
Sie sitzen an Deck der Fähre und sprechen über ihre Hochzeitspläne. Venedig scheint der perfekte Ort – nur sie zwei. Thomas möchte mit Valentina nach Amerika reisen, damit sie seine Eltern kennenlernt. Sie willigt ein und ist jetzt freudig erregt bei der Aussicht, ihnen vorgestellt zu werden. Sie freut sich darauf, Geschichten von ihrem Geliebten als kleinem Jungen zu hören, Bilder zu sehen und alle Orte kennenzulernen, an denen er als Kind gewesen ist. Sie will sich in New York so gut auskennen wie Thomas in Mailand. Valentina zieht sogar in Erwägung, ihre Mutter und Mattia zu besuchen.
Sobald die Fähre in Capri anlegt, führt Thomas sie zu ein paar Booten am Kai, die Fahrten zur berühmten Blauen Grotte anbieten.
»Wollen wir?«, fragt er. »Es
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