Verbotene Lust
er.
»Hast du mich gebeten, dass ich mich um den Fall kümmere?«
Jetzt klang er wie ein strenger Vater.
»Hör zu, Daniel. Ich habe Sonja seit zwei Wochen nicht gesehen, und ja, ich bin auf dem Weg zu ihr. Was soll Marlene schon machen? Mich verfolgen?« Während er es aussprach, merkte er, wie wahrscheinlich es im Grunde war.
»Tu mir einen Gefallen, und triff sie nicht in ihrer Wohnung. Sag ihr, sie soll irgendwo anders hinkommen. Und dann ruf mich an, und sag mir, wo ihr euch trefft. Ich komme dann.«
André wechselte die Leitung, ohne sich von Daniel zu verabschieden. So weit war es also schon, dass er Sonja nur sehen durfte, wenn andere wussten, wo sie sich aufhielten?
»Was war denn los?«, fragte sie.
»Nichts, Liebes. Ich bin in zehn Minuten bei dir.«
* * *
Sie war aufgeregt wie ein Teenager. Immer wieder lief sie zum Wohnzimmerfenster, das auf die schmale Gasse ging, und spähte hinaus. Inzwischen fiel der Schnee immer dichter, und die wenigen Menschen, die zu dieser Zeit noch unterwegs waren, stapften durch knöcheltiefen Schnee.
Endlich sah sie seinen dunkelblauen Lexus, der drei Häuser weiter parkte. Sie drückte die Stirn gegen die Fensterscheibe. Endlich, dachte sie.
Sie erkannte ihn, obwohl er dick eingemummelt war und obwohl das Schneegestöber die Sicht behinderte.
Als er klingelte, drückte sie fast gleichzeitig den Türsummer. Sie machte im Flur Licht, hörte ihn die Treppe hochstapfen. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie lehnte sich über das Treppengeländer, und als hätte er ihren Blick gespürt, hob er den Kopf und sah zu ihr auf.
Sie lief ihm auf Strümpfen entgegen.
André schloss sie in die Arme und drückte sie so fest an sich, dass ihr die Luft wegblieb. Ihr Gesicht presste sie gegen seine Brust, versuchte, in seinem Duft zu ertrinken, den sie in den letzten Wochen so sehr vermisst hatte.
»Ich bin ja da«, flüsterte er, und seine Hand streichelte beruhigend ihren Scheitel. »Ich bin da.«
Erst da merkte sie, dass sie weinte.
Er schob sie von sich und musterte sie besorgt, ehe er ihre Hände nahm. »Vertraust du mir?«, wisperte er.
Stumm nickte sie.
»Kommst du mit? Wir müssen verschwinden.«
Warum flüsterte er plötzlich?
Das Licht im Flur ging aus, und nur durch den Lichtkeil, der aus ihrer hell erleuchteten Wohnung fiel, konnte sie sein Gesicht noch erkennen.
»Wohin?«, fragte sie ebenso leise.
»Komm.« Er steuerte ihre Wohnung an, ihr kleines Reich, in dem sie in den letzten Wochen mit ihrem Roman gerungen und gekämpft hatte. Den Kampf hatte sie gemeistert, aber sie wusste nicht, was für ein Kampf sie jetzt erwartete.
Irgendwas war vorgefallen. Und sie spürte Andrés Sorge, die ihn und sie wie einen Schutzpanzer umgab. Erst nachdem sie die Wohnungstür hinter ihnen geschlossen hatte, atmete er durch.
»Sie ist hier. Vermutlich«, fügte er hinzu, weil er wohl die Angst sah, die in ihrem Blick aufflackerte. »Ich weiß nicht, ob sie wirklich hier ist, aber Daniel meint, die Gefahr bestünde. Er will, dass wir fliehen.«
»Aber wohin?«, fragte sie ratlos.
»Das ist vermutlich egal. Sonja«, er umfasste ihre Oberarme und erschrak, weil sie sich so mager anfühlte. »Wir müssen weg! Sie hat es auf uns abgesehen, auf mich! Sie will mir einen Schmerz zufügen, der dem gleicht, den sie nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter erlitten hat, und ich fürchte, sie weiß, dass sie mich am meisten trifft, wenn sie dir etwas antut. Bitte, vertrau mir!«, flehte er.
Sie nickte. »Ich vertrau dir«, sagte sie leise. »Ich packe nur schnell meine Sachen zusammen.«
Sie ging ins Schlafzimmer. Ihr Notebook schob siein die passende Tasche, dann warf sie wahllos den Inhalt ihres Kleiderschranks in die geräumige Reisetasche. Das Kosmetikköfferchen war schnell gefüllt, und keine fünf Minuten später zog sie die Tür zur Wohnung hinter sich ins Schloss. André wartete, während sie abschloss. Er trug ihre Reisetasche, während sie das Notebook an ihre Brust drückte. Nicht auszudenken, was passierte, wenn ihr Notebook verloren ging …
Ganz ruhig, versuchte sie, sich zu beruhigen. Die Daten sind gesichert. André beschützt mich.
Sie traten auf die Straße. Mit gesenktem Kopf liefen sie zu seinem Wagen, stiegen ein. André warf ihre Tasche auf den Rücksitz.
»Wohin?«, fragte sie erneut.
»Wir werden schon was finden.« Fröstelnd rutschte sie in ihrem Sitz tiefer.
»Ich bin es leid, mich zu verstecken«, flüsterte sie.
»Ich weiß.« Er legte die Hand auf
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