Verbotene Sehnsucht
bereits in ihre vierte Saison, während die jüngeren Schwestern zunehmend ungeduldig darauf warteten, dass die Ältere endlich unter die Haube kam und sie ihren Platz auf dem Heiratsmarkt einnehmen konnten. Doch Missy dachte nur an James und daran, dass sie sich keinen Fehler mehr erlauben durfte, falls sie bei ihm noch einen Erfolg landen wollte.
Sie richtete sich zu voller Größe auf und strich sich mit der Hand über die locker gesteckte Frisur, bevor sie die schwere Eichentür aufstieß. Die Unterröcke unter ihrem schimmernden Seidenkleid rauschten verheißungsvoll, als sie die prächtige Bibliothek von Stoneridge Hall betrat.
Kunstvoll gearbeitete Bücherschränke aus Walnussholz, die sich vom Boden bis zur Decke erstreckten, säumten die Wände, und mitten im Raum prangte ein imposanter, reich verzierter Schreibtisch aus Mahagoni. Kostbare Teppiche bedeckten das glänzende Parkett. Hier hatte sie sich immer zu Hause gefühlt, ganz besonders zu Lebzeiten ihres schon lange verstorbenen Vaters. Heute jedoch stellte sich kein friedliches Gefühl von Geborgenheit ein, denn ein Schwarm flatternder Schmetterlinge schien sich in ihrem Bauch eingenistet zu haben und danach zu verlangen, freigelassen zu werden.
Sanft, aber entschlossen drückte Missy die Tür zu, sodass es leise klickte. James drehte sich um und starrte sie an. Einen Moment lang blitzte es in seinen Augen auf, irgendein Impuls, den sie nicht recht deuten konnte, bevor sich seine Miene verdüsterte.
» Hallo, James.«
» Missy.« Er nickte flüchtig.
In letzter Zeit hatte sie ihn so selten zu Gesicht bekommen, dass sie sein dürftiges Lächeln nicht gerade als die passende Begrüßung für eine alte Freundin empfand. Und schon gar nicht als Ermutigung zu einer Unterhaltung oder zu wer weiß was. Ihre Hoffnungen erhielten einen neuen Dämpfer.
Ohnehin begannen ihre Träume von einem ehelichen Glück mit James und hübschen dunkelhaarigen und blauäugigen Kindern sich mehr und mehr zu verflüchtigen, denn immerhin waren schon einige Jahre ins Land gegangen, ohne dass sie sich ihrem Ziel auch nur einen Schritt genähert hätte.
Trotzdem ließ sie nicht davon ab, stand felsenfest zu ihrer Überzeugung, dass es eine Verbindung wie ihre nur ein einziges Mal im Leben geben könne, auch wenn der derzeitige Zustand mehr als unbefriedigend war. Missy kämpfte weiter, hielt ihren Traum am Leben, weigerte sich, ihn so einfach für alle Zeiten zu begraben. Jedenfalls jetzt noch nicht.
» Meinst du nicht, dass es besser wäre, die Tür offen zu lassen?«, fragte er mit einem Tonfall, der nach einer angenehmen Mischung aus Höflichkeit und samtiger Rauheit klang. Sie zitterte kaum merklich. Alles an ihm war schön, sogar seine Stimme. Wie sehr hatte sie seinen tiefen Bariton vermisst und wie sehr natürlich ihn selbst.
» Hast du etwa Angst, mit mir alleine zu sein?«, fragte sie leichthin und versuchte, den richtigen Ton zwischen unangemessener Forschheit und verächtlicher Schüchternheit zu treffen. In der Ausgewogenheit lag schließlich der Schlüssel zum Erfolg.
James’ Miene war so ernst, als könne er ihre Anwesenheit nur mit schmallippigem Schweigen ertragen. Aber dann schluckte er schwer, und sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. Missy überlegte, ob sie das als ein Anzeichen wachsenden Unbehagens angesichts ihrer Gegenwart werten sollte oder als Ausdruck gesteigerter Nervosität. Sie würde es herauszufinden versuchen, beschloss sie.
Sie raffte allen Mut zusammen und kam näher. Als sie stehen blieb, nur wenige Schritte von ihm entfernt, blickte er sie mit fragend hochgezogenen Brauen an.
» Ist dir eigentlich klar, dass wir seit meinem achtzehnten Geburtstag nicht mehr alleine gewesen sind? Langsam bilde ich mir ein, dass du mir aus dem Weg gehst.« Missy legte eine Pause ein, bevor sie fortfuhr. » Und? Gehst du mir aus dem Weg?«
Wieder blitzte etwas in seinen kristallblauen Augen auf, das sie nicht deuten konnte, bevor sich ein honigsüßes Lächeln über seine wunderbar ebenmäßigen Gesichtszüge ausbreitete. Kein höfliches Lächeln mehr, sondern eines, das gefangen nahm. Eines, das eine Frau in Ohnmacht sinken ließ. Aber vielleicht verhielt es sich auch so, dass er sein Lächeln steuerte wie der Puppenspieler seine Marionette, denn die ganze Zeit über beobachtete er sie scheinbar unbeteiligt und ohne einen Ausdruck von Freude erkennen zu lassen.
» Wie bitte?« Er klang leicht beschämt, was ziemlich absurd war, denn James hatte ganz
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