Verbotene Sehnsucht
bestimmt kein einziges Fünkchen Scham im Leibe.
Verstohlen ließ sie ihren Blick über seine höchst attraktive Gestalt gleiten, und es fiel ihr sichtlich schwer, sich zu beherrschen. Es juckte sie in den Fingern, ihn anzufassen, und darüber hinaus juckte es sie an anderen Stellen, an die eine anständige Lady nicht einmal zu denken wagte. Andererseits: Hatte sie jemals behauptet, frei zu sein von jenen schrecklich unzüchtigen Fantasien? Von erotischen Vorstellungen, die ihren Ausschluss aus der Gesellschaft zur Folge hätten, würde sie diese auch nur ansatzweise in die Tat umzusetzen versuchen. Nein, anständig war Missy Armstrong ganz gewiss nicht.
» Es ist doch nur, dass wir uns früher… so nahe gewesen sind. Und jetzt sehe ich dich kaum noch. Was soll ich sonst denken, wenn du praktisch aus meinem Leben verschwindest?«
Die Grübchen auf seinen stoppligen Wangen verschwanden, als er sie durch gesenkte Lider aus tintenschwarzen Pupillen betroffen anstarrte. Offensichtlich hatte sie den wunden Punkt getroffen, denn sein Schweigen dauerte ein paar Sekunden zu lang. Der James, wie sie ihn früher kannte, war nie um Worte verlegen gewesen.
» Was könnte weniger der Wahrheit entsprechen«, sagte er und beendete das Schweigen, das förmlich mit Händen zu greifen schien. Sein Tonfall klang melodiös, harmlos freundlich, als wolle er ein Kind oder ein Tier beruhigen. » Es muss dir doch klar sein, dass meine Pflichten mich oft zu ausgedehnten Reisen zwingen, gelegentlich auch außer Landes. Glaub mir, ich bin vielen Menschen fremd geworden.«
Sollte das etwa heißen, dass sie inzwischen ebenfalls zu diesen vielen gehörte?
» Aber selbst wenn ich dich sehe, wie jetzt zum Beispiel, dann bist du so… anders.« Er behandelte sie ja nicht einmal mehr mit der Wärme, die man selbst einer guten Bekannten entgegenbrachte. Dabei waren sie seit zehn und mehr Jahren befreundet gewesen, eng befreundet. Und was tat er? Behandelte sie wie eine Fremde, kalt und distanziert. Wo war nur der alte James geblieben, dachte sie betrübt. All ihren Versuchen, die Beziehung, die einst zwischen ihnen existierte, wiederzubeleben, begegnete er mit einem gezwungenen Lächeln und Misstrauen. Aber das fand sie, so traurig es sein mochte, nicht einmal am schlimmsten. Deprimierender waren die gespreizten Gespräche ohne jede Aussagekraft, die eigentlich nur belegten, dass es nichts mehr gab zwischen ihnen außer Leere und Schweigen.
» In den vergangenen Jahren ist mein Leben recht hektisch gewesen.« Er wich ihrem Blick aus und machte keine Anstalten, das näher zu erläutern. Offenbar schien es ihm unwichtig, weil für sie in seinem Leben ohnehin kein Platz mehr war.
Trotzdem hakte sie nach. » Zu geschäftig für mich?« Obwohl sie sich bemühte, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen, schwangen unterdrückte Sehnsucht sowie Enttäuschung und Ärger in jedem Wort mit.
Vor Jahren war es wichtig für ihn gewesen, ihr in seinem Leben einen Platz zu reservieren. Als sie zwölf wurde, brachte er ihr bei, wie man sich rittlings im Sattel hielt– trotz Thomas’ Einwänden und obwohl ihre Stute sie ein paar Monate zuvor abgeworfen und sie sich dabei den Arm gebrochen hatte. Nie würde sie vergessen, wie er alle Schuld auf sich nahm, als die Lieblingsvase ihrer Mutter aus kostbarem Wedgwood-Porzellan zu Bruch ging. Und als ihr Bruder und Alex dazu übergegangen waren, sie spöttisch » Bohnenstange« zu rufen, da gab er ihr den liebevollen Spitznamen » Pfirsich«, wegen ihres rosigen Teints, wie er behauptete. Wochenlang fühlte sich Missy wie im siebten Himmel und als könne sie auf Wolken gehen. Damals erweckte James ihre Träume und Fantasien zu einem wilden, gefährlichen Leben.
Es hatte nur eines einzigen törichten Augenblicks bedurft, um alles zu ruinieren, dachte sie, als sie sich an das bedrückende Schweigen auf dem langen Weg zurück nach Hause erinnerte– damals, nach dem Kuss. Dummes Ding.
James schluckte sichtlich, während sein Blick rastlos durch das Zimmer schweifte, bis er sich schließlich wieder auf sie konzentrierte.
» Daran liegt es ganz gewiss nicht«, sagte er angespannt.
» Woran dann?« Mit einer selbstverständlichen Natürlichkeit, wie sie die Gewohnheit oft mit sich bringt, streckte Missy die Hand aus und berührte seinen Arm. James zuckte erschrocken zusammen.
Schon vor seiner Ankunft an diesem Morgen hatte er gewusst, dass die Konfrontation unausweichlich war und der Begegnung entgegengesehen
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