Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
schöne, schwarze Natalie, die enge Vertraute und Freundin Sarahs, zu ihr, schloß sie in die Arme und flüsterte unverständliche, zärtlich klingende Worte. Der süße, warme Nachtwind wehte durch die geöffneten Fenster, und im Mondlicht sah Elizabeth, daß Natalies Wangen feucht waren von Tränen. Sie begann ebenfalls zu weinen, und dann sagte Natalie ihr, daß Henry und Sarah beide an diesem Tag gestorben waren, kurz hintereinander.
»Armes kleines Mädchen«, sagte Natalie weich, »nun geht es dir wie mir, auch wenn du weiß bist, jetzt hast du auch deine Familie verloren, so wie ich. Meine arme kleine Elizabeth!«
Es sollte noch schlimmer kommen, als Elizabeth in diesem Moment glaubte. Benommen und ungläubig erlebte sie mit, wie alles verschwand, was sie kannte. Die Sklaven wurden fortgebracht, fremde Leute liefen über die Plantage, sahen sich alles an, sogar Sarahs Kleider und ihren Schmuck, und schätzten mit lauten Stimmen, die Elizabeth bedrohlich fand, den Wert eines jeden
Gegenstandes ab. Die Nachbarn kamen zu ihr und sagten ihr, sie solle fort, erst in den Norden des Landes hinauf, dann weit über das Meer in ein anderes Land.
»Kennst du England?« fragten sie. »Deine Eltern kamen von dort und viele, die hier leben, auch. Eigentlich ist England viel mehr deine Heimat als Louisiana!«
Aber das tröstete Elizabeth nicht, sie wußte nichts von England und fürchtete sich davor. Eine endlose Reise in einem rüttelnden Wagen brachte sie nach New York, wo sie den Winter bei Miss Hart und Miss Waddlington verbrachte, einen ungewohnten Winter mit Schnee und Eis und schauerlich kaltem Wind. Die beiden alten Damen gaben sich viel Mühe mit dem verängstigten Mädchen, doch sie hatten beide nie Kinder gehabt, daher begriffen sie nichts von der schrecklichen Verwirrung, in der sich Elizabeth befand. Später, auf dem Schiff, wurde es noch schlimmer, denn Miss Waddlington litt entweder unter Seekrankheit oder quälte sich mit panischen Ängsten vor einem Ertrinkungstod. Miss Hart mußte sich ständig um sie kümmern, so daß Elizabeth meist sich selbst überlassen blieb. Sie saß stundenlang an Deck, sah über die uferlosen, tosenden Wellen oder hielt ihr Gesicht in den Wind, bis die Augen tränten. Dann lief sie hinunter in ihre Kajüte und starrte in den winzigen Spiegel, der neben ihrem Bett hing, in dieses fremde, ihr seelenlos scheinende Gesicht, das nicht mehr zu ihr gehörte, weil es gar nichts mehr gab, was zu ihr gehörte. Sie weinte nicht in dieser Zeit, sondern verharrte über all die Wochen in einer eisigen Erstarrung, die sich erst löste, als sie schon in England war und in Heron Hall lebte. Jeder hier schien sie zu lieben, und jeder war freundlich zu ihr, doch vielleicht ließ gerade die Wärme der neuen Familie sie besonders heftig in ihren Kummer fallen. Alle kümmerten sich um sie, sogar Belinda, die oft nach Heron Hall kam und sich ganz offensichtlich mit Joanna gar nicht verstand, warb um ihre Gunst. Dennoch tat ihr inmitten dieser freundlichen Menschen oft das ganze Gesicht weh vor Anstrengung, nur nicht zu weinen. Manchmal gab sie auf Fragen keine Antwort, weil sie Angst hatte, ihr würden sofort die Tränen kommen.
»Ich glaube, sie ist genauso seltsam wie Sarah«, sagte Viola zu Harriet, »nur zeigte sich das bei Sarah in ihrem übermäßig exaltierten Benehmen. Die Kleine hingegen scheint unter Sprachlosigkeit zu leiden!«
»Sie ist krank vor Heimweh«, entgegnete Harriet, »ach, wenn ich nur einen Weg wüßte, ihr zu helfen!«
Erst abends, wenn es im Haus still wurde, ließ Elizabeth ihren Tränen freien Lauf. Sie zog die Decke über den Kopf, bohrte das Gesicht tief in die Kissen und begann zu schluchzen, zaghaft zuerst, dann immer heftiger. Irgendwann schlief sie erschöpft ein, und bis zum Morgen waren die Tränen versiegt, nur sah sie immer schlechter und elender aus. Erst vier Wochen nach ihrer Ankunft wurde jemand auf ihr Geheimnis aufmerksam.
Es war ein später Augustabend, als Elizabeth, die wieder einmal weinend im Bett lag, plötzlich von der Tür ihres Zimmers her ein fremdes Geräusch hörte. Sie hielt den Atem an, richtete sich halb auf und starrte in die Dunkelheit. Deutlich konnte sie erkennen, wie sich die Tür sachte bewegte.
»Wer ist da?« flüsterte sie.
»Ich bin es. Joanna.«
Elizabeth versuchte eilig, mit beiden Händen die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, aber sie konnte nichts mehr vertuschen. Schon huschte Joanna ins Zimmer, eine wild flackernde
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