Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
noch nichts«, meinte sie.
»Ist John Carmody nicht adelig?« fragte Cynthia.
»Doch. Aber die Familie ist verarmt. Sein Vater lebt auf einem schrecklich heruntergekommenen Gut in Devon. Aber er ist ein reizender Herr.«
Cynthia setzte eine etwas hochnäsige Miene auf.
»Deshalb ist John Carmody gegen den Adel«, sagte sie, »weil er selber in elender Armut lebt und uns daher haßt!«
»Er kann ja nichts für seine Armut«, meinte Elizabeth schüchtern. Cynthia blickte sie überlegen an.
»Jeder kann etwas dafür, wenn er arm ist«, sagte sie, »denn jeder darf ja reich werden, oder nicht?«
»Laßt uns jetzt nicht darüber sprechen«, mischte sich Harriet ein, »es reicht, wenn man auf allen Straßen und Gassen nichts anderes hört!«
Das Frühstück nahm einen friedlichen Verlauf. Später, als Harriet sich mit Cynthia zu einem Spaziergang aufmachte, gingen Joanna und Elizabeth durch die Halle in den Park. Als sie aus dem Haus traten, sahen sie Phillip, der sich mit einem jungen Mann unterhielt, dessen Pferd gerade von einem Diener herbeigeführt wurde. Beide waren sichtlich bemüht, höflich miteinander zu sprechen, doch die Spannung zwischen ihnen war sogar für die beiden Kinder spürbar. Etwas scheu blieben sie stehen. Phillip hatte sie gehört und wandte sich zu ihnen um.
»Ah, John, nun können Sie noch meine jüngere Tochter begrüßen«, sagte er, »da ist Joanna. Und das ist Elizabeth Landale, das Kind einer verstorbenen Freundin von Lady Sheridy. Sie lebt jetzt bei uns.«
John lächelte freundlich. Sein Gesicht, das zuvor etwas düster und verschlossen dreingeblickt hatte, erhellte sich.
»Ich habe Joanna lange nicht mehr gesehen«, meinte er. Dann sah er zu Elizabeth hin.
»Wo hast du denn vorher gelebt?« fragte er.
»In Amerika«, erwiderte Elizabeth. Phillip schnitt eine Grimasse.
»Das muß Ihnen gefallen, John«, meinte er anzüglich, »von der Herrschaft einer Krone haben sich die Amerikaner schließlich äußerst entschlossen befreit!«
»Wir wollen darüber heute nicht mehr sprechen, Sir«, entgegnete John. Phillip nickte.
»Sie werden schon auch noch zur Vernunft kommen«, meinte er in väterlichem Ton. Elizabeth, die Johns blaue Augen betrachtete, gewahrte darin ein zorniges Aufblitzen, das nur mühsam zurückgedrängt wurde. Unwillkürlich, ohne es selbst richtig zu merken, lächelte sie John kameradschaftlich zu. Durch einen zufälligen Seitenblick fing er ihr Lächeln auf und gab es nach einem Moment der Überraschung zurück. Wieder konnte sie die überraschend schnelle Verwandlung seines Gesichtsausdrucks sehen. Statt verärgert wirkte er plötzlich amüsiert. »Wir sehen uns im Oktober wieder«, sagte er und reichte Phillip die Hand, »ich freue mich, Sie nach London zu begleiten.« Er stieg auf sein Pferd, grüßte noch einmal und ritt davon. Joanna ergriff Phillips Arm.
»Kommt John Carmody mit nach London?« fragte sie.
»Ja, er kommt mit. Er will auch dorthin.«
»Warum reist er mit, wenn Sie ihn nicht leiden können?«
»So ist das nicht. Er ist ein netter Kerl, bis auf seine... Ideen. Und es ist in diesen Zeiten besser, in größeren Gruppen zu reisen. « Er verschwand im Haus. Joanna machte ein paar ungeduldige Schritte.
»Komm«, sagte sie zu Elizabeth, »wir spielen im Park. Denn bald ist es Herbst, und wir gehen nach London. Es ist schön dort, aber natürlich nicht so schön wie in Heron Hall!«
Nebeneinander liefen sie in den Park.
3
Jedes Jahr, wenn die letzte Oktoberwoche herankam, verließen Harriet und Phillip mit ihren Kindern Heron Hall, um nach London zu fahren, wo sie den Winter in ihrem Stadthaus am Themseufer verbrachten. Harriet mochte die kalte Jahreszeit auf dem Land nicht, sie empfand den kahlen Park, den silbrigen Rauhreif auf den Wiesen und den Nebel als niederdrückend und traurig. London konnte im Herbst schrecklich verhangen sein, aber es wimmelte dort wenigstens von Menschen, und unzählige Zerstreuungen boten sich an, bei denen man die grauen Nachmittage und dunklen Abende vergessen konnte. Die Bälle am Hofe von König George besaßen natürlich große Anziehungskraft, daneben gab es aber auch Theateraufführungen, Opern, Besuche in den Vergnügungsvierteln Vauxhall und Ranelagh oder, wenn es einmal nicht regnete, Spaziergänge im St. James Park. Allerdings würde es in diesem Jahr nicht besonders amüsant für Harriet werden. Ihr gesundheitlicher Zustand hatte sich in den letzten Jahren sehr verschlechtert; sie fühlte sich
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