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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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abzuwaschen ... Eben erst habe ich mich angezogen.«
    »Blut?! Was für ein Blut?« fragte Pulcheria Alexandrowna erschrocken.
    »Es ist nichts ... regen Sie sich nicht auf, Mamachen. Das Blut kommt daher, weil ich gestern, als ich im Fieber herumlief, auf einen überfahrenen Menschen stieß ... auf einen Beamten ...«
    »Im Fieber? Du erinnerst dich aber an alles!« unterbrach ihn Rasumichin.
    »Das ist wahr«, antwortete ihm darauf Raskolnikow auffallend bedächtig. »Ich erinnere mich an alles bis in die letzte Kleinigkeit; aber wozu ich das tat, wozu ich hinging, und warum ich das oder jenes sagte, – das kann ich nicht mehr erklären.«
    »Das ist ein sehr bekanntes Phänomen«, mischte sich Sossimow ein. »Die Ausführung ist manchmal meisterhaft und außerordentlich schlau, doch die Direktion der Handlungen, der Urbeginn der Handlungen, ist verworren und hängt von allerlei krankhaften Eindrücken ab. Es ist wie in einem Traume.«
    – Das ist vielleicht sogar gut, daß er mich fast für verrückt hält – dachte Raskolnikow.
    »Das kann aber vielleicht auch einem Gesunden passieren«, bemerkte Dunjetschka mit einem besorgten Blick auf Sossimow.
    »Eine recht treffende Bemerkung«, antwortete jener. »In diesem Sinne gleichen wir wirklich fast alle den Verrückten, bloß mit dem kleinen Unterschied, daß die ›Kranken‹ etwas mehr verrückt sind als wir, denn man muß hier eine gewisse Grenze unterscheiden. Einen wirklich harmonischen Menschen gibt es tatsächlich fast nicht; unter zehn- und vielleicht auch hunderttausend Menschen findet man höchstens einen, und dann auch nur ein recht schwaches Exemplar ...«
    Beim Worte »verrückt«, das dem auf sein Lieblingsthema geratenen Sossimow entschlüpft war, verzogen alle die Gesichter. Raskolnikow saß nachdenklich, mit einem seltsamen Lächeln auf den blassen Lippen da und schien dem keine Beachtung zu schenken. Er fuhr fort, über etwas nachzudenken.
    »Nun, was ist mit jenem Überfahrenen? Ich habe dich eben unterbrochen«, beeilte sich Rasumichin zu sagen.
    »Was?« rief jener, wie aus einem Traume erwachend. »Ja ... ich beschmierte mich also mit Blut, als ich half, ihn in seine Wohnung zu schaffen ... Übrigens, Mamachen, ich habe gestern etwas Unverzeihliches getan; ich war wirklich nicht bei Sinnen. Ich habe gestern das ganze Geld, das Sie mir geschickt haben, weggegeben ... seiner Frau ... für die Beerdigung. Jetzt ist sie Witwe, eine schwindsüchtige, unglückliche Frau ... drei kleine hungrige Waisenkinder ... im Hause ist es leer ... und es ist noch eine Tochter da ... Vielleicht hätten Sie selbst alles hergegeben, wenn Sie es gesehen hätten ... Ich hatte übrigens, ich gestehe es, gar kein Recht dazu, um so mehr, als ich wußte, wie schwer es Ihnen fiel, dieses Geld aufzutreiben. Um zu helfen, muß man erst ein Recht dazu haben, sonst: ›Crevez chiens, si vous n'êtes pas contents!‹« Er lachte. »Ist es nicht so, Dunja?«
    »Nein, es ist nicht so«, antwortete Dunja fest.
    »Bah! Auch du hast also ... Absichten! ...« murmelte er, sie beinahe gehässig ansehend und spöttisch lächelnd. »Das hätte ich bedenken sollen ... Nun, es ist sehr lobenswert und um so besser für dich ... und du wirst einen solchen Strich erreichen, daß du unglücklich sein wirst, wenn du ihn nicht überschreitest, und noch unglücklicher, wenn du ihn überschreitest ... Übrigens ist das alles Unsinn!« rief er gereizt und ärgerlich, daß er sich hatte hinreißen lassen. »Ich wollte nur sagen, daß ich Sie um Verzeihung bitte, Mamachen«, schloß er kurz und bündig.
    »Hör schon auf, Rodja, ich bin überzeugt, daß alles, was du tust, gut ist!« rief die Mutter erfreut.
    »Seien Sie nicht so überzeugt«, antwortete jener, den Mund zu einem Lächeln verziehend.
    Nun folgte ein Schweigen. In diesem ganzen Gespräch, im Schweigen und in der Aussöhnung lag eine gewisse Spannung, und alle fühlten es.
    – Es ist, als ob sie mich fürchteten! – dachte sich Raskolnikow, indem er seine Mutter und Schwester finster anblickte. Pulcheria Alexandrowna wurde in der Tat immer ängstlicher, je länger sie schwieg.
    – Als sie noch nicht da waren, liebte ich sie doch so! – ging es ihm durch den Kopf.
    »Weißt du, Rodja, Marfa Petrowna ist gestorben!« platzte plötzlich Pulcheria Alexandrowna heraus.
    »Was für eine Marfa Petrowna?«
    »Ach, Gott, Marfa Petrowna Swidrigailowa! Ich habe dir ja so viel über sie geschrieben!«
    »Ach ja, ich erinnere mich ... Sie

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