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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Gott, Väterchen, darf man dich denn gar nicht aufsuchen?‹ Um sie zu necken, sage ich ihr: ›Marfa Petrowna, ich will wieder heiraten.‹ – ›Das sieht Ihnen ähnlich, Arkadij Iwanowitsch; es bringt Ihnen aber wenig Ehre ein, daß Sie, gleich nachdem Sie Ihre Frau beerdigt haben, schon wieder auf die Brautschau fahren. Und wenn Sie noch wenigstens was Rechtes wählten, aber ich weiß: es wird für beide Teile nichts Gescheites sein. Sie machen sich bloß lächerlich.‹ Sie ging hinaus und raschelte mit der Schleppe. Das ist doch Unsinn, wie?«
    »Vielleicht ist das alles gelogen?« bemerkte Raskolnikow.
    »Ich lüge selten«, antwortete Swidrigailow nachdenklich. Er schien die Grobheit der Frage gar nicht bemerkt zu haben.
    »Und früher, vordem, haben Sie niemals Gespenster gesehen?«
    »N-nein, nur ein einziges Mal im Leben, vor sechs Jahren. Ich hatte einen leibeigenen Diener Filjka; kaum hatte man ihn beerdigt, da rief ich in meiner Vergeßlichkeit: ›Filjka, die Pfeife!‹ Und er kam herein und ging zum Pfeifenständer. Ich sitze und denke mir: ›Das tut er, um sich an mir zu rächen‹; denn es hat zwischen uns vor seinem Tode einen heftigen Streit gegeben. ›Wie wagst du‹, sage ich ihm, ›mit einem zerrissenen Ellbogen zu mir zu kommen?! Marsch, hinaus, Taugenichts!‹ Er machte kehrt, ging hinaus und kam nie wieder. Ich habe es Marfa Petrowna nicht erzählt. Ich wollte eine Totenmesse lesen lassen, genierte mich aber.«
    »Gehen Sie doch mal zu einem Arzt.«
    »Das verstehe ich auch ohne Sie, daß ich nicht ganz gesund bin, obwohl ich auch nicht weiß, was mir fehlte; ich meine, ich bin fünfmal gesünder als Sie. Aber ich habe Sie nicht gefragt, ob Sie glauben, daß die Gespenster erscheinen, ich habe gefragt: Glauben Sie, daß es Gespenster gibt ?«
    »Nein, das glaube ich um nichts in der Welt!« rief Raskolnikow sogar wütend.
    »Was sagt man gewöhnlich?« murmelte Swidrigailow wie vor sich hin, zur Seite blickend und den Kopf etwas geneigt. »Man sagt: ›Du bist krank, und darum ist alles, was du zu sehen glaubst, ein nichtexistierender Wahn.‹ Darin fehlt aber die strenge Logik. Ich gebe zu, daß die Gespenster nur Kranken erscheinen; das beweist aber doch nur, daß die Gespenster niemand anderem als Kranken erscheinen können, doch nicht, daß es sie an sich nicht gibt.«
    »Natürlich gibt es sie nicht!« widersprach Raskolnikow gereizt.
    »Nicht? Sie glauben es?« fuhr Swidrigailow fort, nachdem er ihn langsam angeblickt hatte. »Nun, und wie ist es, wenn man es so betrachtet (nun, helfen Sie mir mal): Die Gespenster sind sozusagen Fetzen und Bruchstücke anderer Welten, ihr Anfang. Ein gesunder Mensch braucht sie natürlich nicht zu sehen, denn der gesunde Mensch ist der am meisten irdische Mensch und muß also der Vollständigkeit und der Ordnung wegen nur das eine hiesige Leben leben; kaum ist er aber erkrankt, kaum ist die normale irdische Ordnung im Organismus gestört, als sich sofort die Möglichkeit einer anderen Welt zeigt, und je kränker er ist, um so mehr Berührungspunkte hat er mit den anderen Welten, so daß, wenn der Mensch ganz stirbt, er direkt in die andere Welt eingeht. Darüber habe ich schon seit langem nachgedacht. Wenn Sie an das zukünftige Leben glauben, so können Sie auch an diese meine Theorie glauben.«
    »Ich glaube nicht an ein zukünftiges Leben«, sagte Raskolnikow.
    Swidrigailow saß nachdenklich da.
    »Und was, wenn dort nur Spinnen oder dergleichen sind?« sagte er plötzlich.
    – Er ist verrückt – dachte Raskolnikow.
    »Uns erscheint die Ewigkeit als eine Idee, die man nicht erfassen kann, als etwas furchtbar Großes! Aber warum muß sie unbedingt groß sein? Und denken Sie sich nur, wenn plötzlich statt alles dessen dort nur ein kleines Zimmer sein wird, so in der Art einer Badestube auf dem Lande, verräuchert, und in allen Ecken Spinnen, und das ist die ganze Ewigkeit. Wissen Sie, mir schwebt zuweilen so etwas vor.«
    »Können Sie sich denn wirklich nichts Tröstlicheres und Gerechteres als dies vorstellen?!« rief Raskolnikow mit einem schmerzvollen Gefühl.
    »Gerechteres? Wer kann das wissen, vielleicht ist das auch die Gerechtigkeit, und wissen Sie, ich würde es unbedingt absichtlich so einrichten«, antwortete Swidrigailow mit einem unbestimmten Lächeln.
    Bei dieser häßlichen Antwort überlief es Raskolnikow plötzlich kalt. Swidrigailow hob den Kopf, sah ihn durchdringend an und lachte plötzlich auf.
    »Nein, bedenken Sie doch

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