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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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sie sich aus, wahrhaftig. Sie glauben wohl nicht, daß sie sich so ausdrückte? Wissen Sie: ich bin auf dem Lande ein tüchtiger Landwirt geworden, man kennt mich im ganzen Umkreis. Ich ließ mir auch Bücher kommen. Marfa Petrowna billigte es zuerst, fürchtete aber dann immer, ich könnte mich beim Studium überanstrengen.«
    »Marfa Petrowna geht Ihnen wohl sehr ab?«
    »Mir? Mag sein. Sogar sehr möglich. Übrigens, glauben Sie an Gespenster?«
    »An was für Gespenster?«
    »An ganz gewöhnliche Gespenster, was tragen Sie noch!«
    »Und glauben Sie an Gespenster?«
    »Vielleicht auch nicht, pour vous plaire ... Das heißt, eigentlich wohl ...«
    »Erscheinen sie Ihnen?«
    Swidrigailow sah ihn sonderbar an.
    »Marfa Petrowna hat die Güte, mich zu besuchen«, sagte er, den Mund zu einem sonderbaren Lächeln verziehend.
    »Was heißt, sie hat die Güte, Sie zu besuchen?«
    »Sie ist schon dreimal dagewesen. Das erstemal sah ich sie am Tage der Beerdigung, eine Stunde nach der Beisetzung. Das war am Tage vor meiner Abreise hierher. Das zweite Mal war es vorgestern, in der Morgendämmerung, auf der Station Malaja Wischera; das dritte Mal aber vor zwei Stunden, in der Wohnung, wo ich abgestiegen bin, in meinem Zimmer; ich war allein.«
    »Im Wachen?«
    »Vollkommen! Alle dreimal sah ich sie im Wachen. Sie kommt, spricht mit mir eine Weile und geht dann durch die Tür hinaus: immer durch die Tür. Es ist sogar zu hören.«
    »Warum habe ich mir nur gleich gedacht, daß Sie Erlebnisse dieser Art haben müssen!« sagte plötzlich Raskolnikow.
    Schon im nächsten Augenblick staunte er, daß er das gesagt hatte. Er war sehr erregt.
    »So? Sie haben es sich gedacht?« fragte Swidrigailow erstaunt. »Nein, wirklich? Hab ich denn nicht gesagt, daß es zwischen uns einen Berührungspunkt geben muß, wie?«
    »Niemals haben Sie das gesagt!« antwortete Raskolnikow scharf und hitzig.
    »Habe ich es nicht gesagt?«
    »Nein!«
    »Mir schien, ich hätte es gesagt. Vorhin, als ich eintrat und sah, daß Sie mit geschlossenen Augen lagen und sich schlafend stellten, sagte ich mir gleich: ›Es ist derselbe!‹«
    »Was heißt das: derselbe? Was meinen Sie damit?« rief Raskolnikow.
    »Was ich damit meine? Ich weiß wirklich nicht, was ...« murmelte Swidrigailow offenherzig und irgendwie selbst verwirrt.
    Eine Minute schwiegen sie. Sie starrten einander unverwandt an.
    »Das ist alles Unsinn!« rief Raskolnikow geärgert. »Was sagt denn Marfa Petrowna, wenn sie kommt?«
    »Was sie sagt? Denken Sie sich nur, sie spricht nur von den nichtigsten Bagatellen. Sie werden über mich staunen: dies ärgert mich gerade. Das erste Mal kam sie (wissen Sie, ich war so müde: der Trauergottesdienst, die Totenmesse, das Totenmahl, endlich war ich allein in meinem Arbeitszimmer, steckte mir eine Zigarre an, wurde nachdenklich), sie trat durch die Tür ein und sagte: ›Arkadij Iwanowitsch, Sie haben im Tummel heute vergessen, die Uhr im Eßzimmer aufzuziehen.‹ Diese Uhr pflegte ich aber die ganzen sieben Jahre jede Woche selbst aufzuziehen, und wenn ich es vergaß, so erinnerte sie mich immer daran. Am nächsten Tag bin ich schon auf der Reise hierher. Ich trete beim Morgengrauen ins Stationsgebäude – in der Nacht hatte ich ein bißchen geschlafen, bin ganz zerschlagen, die Augen fallen mir zu –, ich lasse mir Kaffee geben; plötzlich sehe ich: Marfa Petrowna setzt sich neben mich, hat ein Spiel Karten in der Hand. ›Soll ich Ihnen die Karte schlagen, Arkadij Iwanowitsch, für die Reise?‹ Sie war aber eine große Meisterin im Kartenschlagen. Jetzt kann ich es mir nicht verzeihen, daß ich mir nicht die Karten schlagen ließ. Ich erschrak und lief davon, und da kam auch das Glockenzeichen. Heute sitze ich nach einem abscheulichen Essen in einer Garküche mit schwerem Magen; ich sitze, rauche, und plötzlich sehe ich wieder Marfa Petrowna; sie kommt schön geputzt in einem neuen grünseidenen Kleid mit langer Schleppe. ›Guten Tag, Arkadij Iwanowitsch! Wie gefällt Ihnen mein Kleid? Anißjka bringt so was nicht fertig.‹ (Anißjka hieß unsere Näherin auf dem Lande, eine frühere Leibeigene, war in Moskau in der Lehre gewesen, ein recht hübsches Mädel.) Sie steht da und dreht und wendet sich hin und her. Ich betrachtete ihr Kleid und sah ihr sehr aufmerksam ins Gesicht. ›Was ist's für ein Vergnügen, Marfa Petrowna,‹ sage ich ihr, ›sich diese Mühe zu machen und wegen eines solchen Unsinns zu mir zu kommen!‹ – ›Ach, mein

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