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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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gesagt), daß er ... ohne sie nicht mehr leben kann ... O Gott! –
    Ssonja verbrachte die ganze Nacht in Fieber und Fieberträumen. Sie sprang zuweilen auf, weinte, rang die Hände und verfiel dann wieder in fieberhafte Träume. Sie träumte von Poljetschka, Katerina Iwanowna, Lisaweta, von der Vorlesung aus dem Evangelium und von ihm ... von ihm mit dem bleichen Gesicht und den brennenden Augen ... Er küßt ihr die Füße, weint ... O Gott!
    Hinter der Tür rechts, hinter derselben Tür, die Ssonjas Wohnung von der Wohnung der Gertrude Karlowna Rößlich trennte, befand sich ein seit langem leerstehendes Durchgangszimmer, das zur Wohnung der Frau Rößlich gehörte und das zu vermieten war, wie es auch die am Tore und an den Scheiben der auf den Kanal hinausgehenden Fenster angeklebten Zettel besagten. Ssonja war seit langem gewöhnt, dieses Zimmer für unbewohnt zu halten. Und doch hatte während der ganzen Zeit an der Tür des leeren Zimmers Herr Swidrigailow gestanden und heimlich zugehört. Als Raskolnikow fortgegangen war, stand er noch eine Weile sinnend da, ging dann auf den Fußspitzen in sein Zimmer, das neben dem leeren lag, holte einen Stuhl und brachte ihn leise zur Tür, die in Ssonjas Zimmer führte. Das Gespräch erschien ihm sehr unterhaltend und bedeutungsvoll, es gefiel ihm sehr gut –, es gefiel ihm so sehr, daß er den Stuhl hinbrachte, um in Zukunft, zum Beispiel morgen, sich nicht wieder der Unannehmlichkeit auszusetzen, eine ganze Stunde stehen zu müssen, sondern um sich komfortabler einzurichten, um in jeder Beziehung volle Befriedigung zu finden.
     

V
     
    Als Raskolnikow am nächsten Morgen punkt elf Uhr in das Haus des -schen Polizeireviers, in die Abteilung des Untersuchungsrichters kam und sich bei Porfirij Petrowitsch anmelden ließ, war er sogar erstaunt, daß er so lange warten mußte: es vergingen mindestens zehn Minuten, ehe man ihn endlich eintreten ließ. Nach seiner Berechnung mußte man sich aber sofort auf ihn stürzen. Indessen stand er im Warteraum, und verschiedene Menschen, die sich um ihn gar nicht zu kümmern schienen, gingen an ihm vorbei, auf und ab. Im nächsten Zimmer, das wie eine Kanzleistube aussah, saßen einige Schreiber bei ihrer Arbeit, und es war ihnen anzusehen, daß keiner von ihnen auch nur eine Ahnung davon hatte, wer und was Raskolnikow sei. Mit unruhigen und argwöhnischen Blicken beobachtete er alles um sich her und spähte aus, ob nicht irgendwo ein Wachtposten stehe, ob ihn nicht irgendein geheimnisvoller Blick bewache, daß er nicht weggehe. Es war aber nichts dergleichen: er sah bloß beschäftigte Kanzleigesichter und auch andere Menschen, aber keiner kümmerte sich um ihn: er hätte leicht wieder weggehen können. Immer mehr befestigte sich in ihm der Gedanke, daß, wenn dieser geheimnisvolle Mensch von gestern, dieses aus der Erde hervorgestiegene Gespenst wirklich alles wußte und alles gesehen hatte, – man ihm, Raskolnikow, doch nicht gestatten würde, hier so zu stehen und zu warten. Und hätte man auch bis elf Uhr gewartet, bis es ihm selbst einfallen würde, herzukommen? Also hatte jener Mensch noch keine Anzeige erstattet, oder ... oder er wußte selbst nichts und hatte mit eigenen Augen gar nichts gesehen (wie hätte er auch etwas sehen können?); folglich war alles, was er gestern erlebt hatte, nur eine von seiner gereizten und kranken Phantasie übertriebene Vision. Nachdem er sich dies alles wieder überlegt hatte und sich auf einen neuen Kampf gefaßt machte, fühlte er plötzlich, daß er zitterte, und er empörte sich bei dem Gedanken, daß er aus Furcht vor dem verhaßten Porfirij Petrowitsch zittere. Das Schrecklichste für ihn war ein Wiedersehen mit diesem Menschen; er haßte ihn grenzenlos, maßlos und fürchtete sogar, sich durch diesen Haß irgendwie zu verraten. Und so groß war seine Empörung, daß sie das Zittern sofort unterdrückte; er schickte sich an, mit einer kalten und herausfordernden Miene einzutreten, und gab sich das Wort, möglichst viel zu schweigen, zu beobachten und zu horchen und, wenigstens dieses eine Mal, um jeden Preis, seine krankhaft gereizte Natur zu überwinden. In diesem Augenblick rief man ihn zu Porfirij Petrowitsch.
    Es zeigte sich, daß Porfirij Petrowitsch gerade ganz allein in seinem Arbeitszimmer war. Das Arbeitszimmer war weder klein noch groß; es befanden sich darin ein großer Schreibtisch vor einem mit Wachstuch bezogenen Sofa, ein Pult, ein Eckschrank und mehrere Stühle –

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