Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)
lauter Staatseigentum aus poliertem gelben Holze. In einer Ecke an der Hinterwand oder, besser gesagt, an einem Bretterverschlage war eine verschlossene Tür: also befanden sich wohl hinter diesem Verschlag noch andere Räume. Als Raskolnikow eintrat, schloß Porfirij Petrowitsch sofort die Tür, durch die er gekommen war, und sie blieben allein. Er empfing seinen Gast scheinbar außerordentlich lustig und freundlich, und Raskolnikow merkte erst nach einigen Minuten an einigen Anzeichen, daß er irgendwie verlegen war, als hätte man ihn plötzlich aus dem Konzept gebracht oder auf etwas Geheimem ertappt.
»Ah, Verehrtester! Da sind Sie ja ... in unserem Reiche ...« begann Porfirij, ihm beide Hände entgegenstreckend. »Nun, nehmen Sie Platz, Väterchen! Oder Sie haben es vielleicht nicht gern, daß man Sie Verehrtester und Väterchen nennt – so ›tout court‹? Halten Sie es, bitte, nicht für eine Familiarität! Hierher, auf das Sofa.«
Raskolnikow setzte sich, ohne die Augen von ihm zu wenden.
›In unserem Reiche‹, die Entschuldigung wegen der Familiarität, das französische »tout court« usw ... das waren lauter charakteristische Anzeichen. – Er hat mir beide Hände entgegengestreckt, doch keine einzige gegeben, hat sie rechtzeitig zurückgezogen, – ging es ihm mißtrauisch durch den Sinn. Sie beobachteten einander; kaum aber trafen sich ihre Blicke, als sie beide so schnell wie ein Blitz voneinander wegsahen.
»Ich bringe Ihnen das Papier ... wegen der Uhr ... hier ist es. Ist es richtig aufgesetzt, oder muß ich es umschreiben?«
»Was? Ein Papierchen? So, so, machen Sie sich keine Sorgen, es ist richtig,« sagte Porfirij Petrowitsch, als hätte er große Eile; erst nachdem er das gesagt hatte, nahm er das Papier in die Hand und sah es durch. »Ja, es ist richtig. Mehr ist nicht nötig«, bestätigte er, sich überstürzend, und legte das Papier auf den Tisch.
Später, nach einer Minute, als er schon von etwas ganz anderem sprach, nahm er es vom Tisch und legte es auf das Pult.
»Sie sagten, glaube ich, gestern, daß Sie mich fragen möchten ... in aller Form ... über meine Bekanntschaft mit dieser ... Ermordeten?« fing Raskolnikow von neuem an.
– Nun, wozu habe ich dieses ›glaube ich‹ eingefügt? – durchfuhr es ihn wie der Blitz. – Und warum mache ich mir solche Sorge darüber, daß ich dieses ›glaube ich‹ eingefügt habe? – durchzuckte ihn wie der Blitz ein zweiter Gedanke.
Und plötzlich fühlte er, wie sein Argwohn nur infolge der bloßen Berührung mit Porfirij, nur nach zwei Worten, nur nach zwei Blicken in einem Nu ins Ungeheure gewachsen war ... und daß dies gefährlich werden könne: die Nerven werden gereizt, die Erregung wächst an. – Schlecht! Schlecht! ... Ich werde mich wieder versprechen.
»Ja, ja, ja! Machen Sie sich keine Sorgen! Wir haben Zeit, wir haben Zeit«, murmelte Porfirij Petrowitsch, indem er vor dem Tische auf und ab ging, doch ohne jedes Ziel: bald wandte er sich zum Fenster, bald zum Pult, bald wieder zum Tisch; bald wich er den mißtrauischen Blicken Raskolnikows aus, bald blieb er unbeweglich stehen und sah ihn unverwandt an.
Einen seltsamen Eindruck machte dabei seine kleine, dicke, runde Figur, die wie ein Gummiball hin und her rollte und von allen Wänden und Ecken abprallte.
»Wir haben Zeit, wir haben Zeit! ... Rauchen Sie nicht? Haben Sie nichts bei sich? Hier haben Sie ein Zigarettchen«, fuhr er fort, indem er dem Gast eine Zigarette reichte. »Wissen Sie, ich empfange Sie hier, meine Wohnung ist aber gleich hier hinter dem Verschlag ... es ist eine Dienstwohnung, ich wohne jetzt aber vorläufig in der Stadt. Es sind hier einige Reparaturen nötig. Nun ist fast alles fertig ... so eine Dienstwohnung ist eine feine Sache, nicht wahr? Wie meinen Sie?«
»Ja, eine feine Sache«, antwortete Raskolnikow und sah ihn fast spöttisch an.
»Eine feine Sache, eine feine Sache ...« wiederholte Porfirij Petrowitsch, als dächte er dabei an etwas ganz anderes. »Ja, eine feine Sache!« schrie er schließlich fast auf, indem er plötzlich Raskolnikow anblickte und zwei Schritte vor ihm stehen blieb.
Diese häufige, dumme Wiederholung, daß die Dienstwohnung eine feine Sache sei, widersprach in ihrer Banalität zu sehr dem ernsten, sinnenden und rätselhaften Blicke, den er jetzt auf seinen Gast richtete.
Dies aber stachelte die Wut Raskolnikows noch mehr auf, und er konnte sich unmöglich einer höhnischen und recht unvorsichtigen
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