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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Jüngsten Tage. Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben ; wer an mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das? Sie spricht zu ihm (Ssonja holte wie mit Schmerz Atem und las deutlich und mit Kraft, als verkündete sie es selbst allen Ohren): Herr, ja! Ich glaube, daß du bist Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen ist.«
    Sie hielt wieder inne, sah ihn schnell an, überwand sich aber und las weiter. Raskolnikow saß und hörte zu, ohne sich zu rühren, ohne sich umzuwenden, die Ellbogen auf dem Tisch, den Blick auf die Seite gerichtet. So kamen sie zum 32. Vers:
    »Als nun Maria kam, da Jesus war, und sah ihn, fiel sie zu seinen Füßen und sprach zu ihm: Herr, wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. Als Jesus sie sah weinen und die Juden auch weinen, die mit ihr kamen, ergrimmte er im Geist und betrübte sich selbst und sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie sprachen zu ihm: Herr, komm und sieh es. Und Jesus gingen die Augen über. Da sprachen die Juden: Siehe, wie hat er ihn so lieb gehabt! Etliche aber unter ihnen sprachen: Konnte, der dem Blinden die Augen aufgetan hat, nicht verschaffen, daß auch dieser nicht stürbe?«
    Raskolnikow wandte sich zu ihr um und sah sie erregt an. Ja, so ist es! Sie zitterte schon ganz in wirklichem, echtem Fieber. Er hatte es erwartet. Sie näherte sich der Stelle vom wirklichen und unerhörten Wunder, und das Gefühl des größten Triumphes umfing sie ganz. Ihre Stimme klang hell wie Metall; Triumph und Freude klangen in ihr und machten sie stark. Die Zeilen vermischten sich vor ihr, denn es wurde ihr dunkel vor den Augen, aber sie kannte auswendig, was sie las. Bei dem letzten Vers: »Konnte, der dem Blinden die Augen aufgetan hat ...« dämpfte sie die Stimme und gab heiß und leidenschaftlich den Zweifel, Vorwurf und das Schmähen der ungläubigen, blinden Juden wieder, die gleich, wie vom Donner getroffen, niederfallen und schluchzen und glauben werden ... Auch er, er ist blind und ungläubig, auch er wird es gleich hören – und glauben – ja! jetzt gleich, jetzt gleich – sagte sie sich, und sie zitterte in freudiger Erregung.
    »Da ergrimmte Jesus abermals in ihm selbst, und kam zum Grabe. Es war aber eine Kluft, und ein Stein darauf gelegt. Jesus sprach: Hebt den Stein ab! Spricht zu ihm Martha, die Schwester des Verstorbenen: Herr, er stinkt schon, denn er ist vier Tage gelegen.«
    Sie betonte energisch das Wort vier .
    »Jesus spricht zu ihr: Hab ich dir nicht gesagt, so du glauben würdest, du solltest die Herrlichkeit Gottes sehen? Da huben sie den Stein ab, da der Verstorbene lag. Jesus aber hub seine Augen empor und sprach: Vater, ich danke dir, daß du mich erhöret hast; doch ich weiß, daß du mich allezeit hörest; aber um des Volks willen, das umherstehet, sage ich's, daß sie glauben, du habest mich gesandt. Da er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Und der Verstorbene kam heraus « (laut und begeistert las sie es, zitternd und erschauernd, als sähe sie es mit eigenen Augen), »gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Angesicht verhüllet mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löset ihn auf und lasset ihn gehen.«
    » Viel nun der Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn .«
    Weiter las sie nicht und konnte auch nicht lesen. Sie schloß das Buch und stand schnell vom Stuhle auf.
    »Das ist alles über die Auferstehung des Lazarus«, flüsterte sie kurz und streng und blieb unbeweglich stehen, zur Seite blickend, als wagte sie nicht oder schämte sich, die Augen zu ihm zu erheben. Sie zitterte noch immer wie im Fieber. Der Lichtstumpf im verbogenen Leuchter war schon längst heruntergebrannt und flackerte, sein trübes Licht über dieses armselige Zimmer und den Mörder und die Dirne ergießend, die sich so seltsam beim Lesen des ewigen Buches zusammengefunden hatten. Es vergingen noch fünf Minuten oder mehr.
    »Ich bin gekommen, um über etwas Wichtiges zu sprechen«, sagte plötzlich Raskolnikow laut und düster. Er stand auf und ging auf Ssonja zu.
    Sie erhob schweigend die Augen zu ihm. Sein Blick war besonders streng, und eine wilde Entschlossenheit drückte sich in seinen Augen aus.
    »Ich habe heute die Meinigen verlassen,« sagte er, »Mutter und Schwester ... Ich gehe nicht mehr zu ihnen ... Ich habe alles

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