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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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läuft nicht davon, in dieser Beziehung kann ich Sie beruhigen; und was ist auch im Grunde genommen die Form, ich bitte Sie? Man darf nicht den Untersuchungsrichter auf jedem Schritt an die Form binden. Die Tätigkeit des Untersuchungsrichters ist sozusagen eine freie Kunst ihrer Art, oder etwas von dieser Art. He-he-he! ...«
    Porfirij Petrowitsch hielt inne und holte Atem. Er redete drauflos, unermüdlich; bald schüttete er sinnlose, leere Phrasen hin, bald ließ er rätselhafte Anspielungen fallen, um dann wieder mit albernem Geschwätz zu beginnen. Er lief schon fast hin und her, bewegte seine dicken Beinchen immer schneller und blickte fortwährend zu Boden; die rechte Hand hielt er im Rücken und machte mit der linken Bewegungen, die immer auffallend wenig zu seinen Worten paßten. Raskolnikow merkte plötzlich, daß er bei seinem Hin-und Herlaufen einigemal für einen Augenblick an der Tür stehen blieb und hinauszuhorchen schien ...
    – Wartet er vielleicht auf etwas? –
    »In dieser Beziehung hatten Sie vollkommen recht«, fing Porfirij wieder an, wobei er Raskolnikow lustig und ungewöhnlich treuherzig anblickte (so daß jener zusammenfuhr und sich sofort auf alles gefaßt machte) – »vollkommen recht, als Sie über die juristischen Formen so witzig spotteten, he-he! Diese tiefsinnig psychologischen Kunstgriffe – natürlich nur manche von ihnen – sind furchtbar komisch und vielleicht auch nutzlos, wenn sie durch die Form zu sehr beschränkt werden. Jawohl ... ich komme wieder auf die Form: wenn ich also in irgendeiner Sache, mit der ich betraut bin, den einen oder den anderen sozusagen für den Verbrecher halte, oder besser gesagt, des Verbrechens verdächtige ... Sie wollen doch Jurist werden, Rodion Romanowitsch ...?«
    »Ja, ich hatte die Absicht ...«
    »Da haben Sie also ein kleines Beispiel für die Zukunft, das heißt, glauben Sie nur nicht, daß ich es wage, Sie zu belehren: Sie schreiben doch selbst so fabelhafte Aufsätze über das Verbrechen! Nein, ich erlaube mir nur, Ihnen als Tatsache, als Beispiel, anzuführen ... Wenn ich also den einen oder anderen für den Verbrecher halte – warum soll ich ihn, frage ich Sie, vor der Zeit beunruhigen, wenn ich auch Beweise gegen ihn habe? Den einen muß ich zum Beispiel so schnell als möglich verhaften lassen, ein anderer ist aber ganz anders geartet, warum soll er nicht noch etwas in der Stadt herumspazieren, he-he-he! Nein, ich sehe, Sie verstehen es gar nicht, darum will ich es Ihnen klarer darstellen: wenn ich ihn zum Beispiel zu früh einsperre, so gebe ich ihm damit vielleicht eine moralische Stütze, he-he! Sie lachen? (Raskolnikow dachte gar nicht daran, zu lachen: er saß mit zusammengebissenen Zähnen da und wandte seinen fieberhaften Blick nicht von den Augen Porfirij Petrowitschs.) Und doch ist es so, bei manchen Subjekten ganz besonders, denn die Menschen sind verschieden, über alles geht aber die Praxis. Sie werden jetzt sagen: Indizien; ja, nehmen wir sogar an, daß Indizien vorliegen, aber die Indizien, Väterchen, haben in den meisten Fällen zwei Enden, ich aber bin Untersuchungsrichter, also ein schwacher Mensch und muß gestehen: wie gern möchte ich meine Untersuchung mathematisch klar darstellen, einen Beweis erbringen, daß alles so klar sei, wie zweimal zwei vier ist! Daß es einer direkten und unbestreitbaren Deduktion gleiche! Wenn ich ihn aber vor der Zeit einsperre – und wenn ich auch noch so überzeugt bin, daß er es ist –, so kann ich mich vielleicht auch selbst der Mittel zur weiteren Überführung berauben, und warum? Weil ich ihm sozusagen eine bestimmte Position gebe, ihn sozusagen psychologisch bestimme und beruhige, und er sich dann vor mir in seine Schale verkriecht: er begreift schließlich, daß er ein Gefangener ist. Man sagt, daß in Sebastopol, gleich nach der Schlacht bei Alma, die klugen Leute furchtbare Angst gehabt hätten, daß der Feind die Stadt in offenem Sturm attackieren und nehmen würde; als sie aber sahen, daß der Feind eine regelrechte Belagerung vorzog und die erste Parallele aufstellte, so hatten sich die klugen Leute, wie man sagt, so furchtbar gefreut und vollkommen beruhigt; die Sache zieht sich also wenigstens noch zwei Monate hin, denn es dauert noch eine Weile, bis sie die Stadt durch eine regelrechte Belagerung nehmen. Sie lachen wieder, Sie glauben wieder nicht? Sie haben natürlich recht. Tausendmal recht! Das sind lauter Einzelfälle, ich bin mit Ihnen einverstanden; der

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