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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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ihnen her. Kommen Sie.«
    »Und Ssonja?« fragte Raskolnikow besorgt, Lebesjatnikow nacheilend.
    »Sie ist rasend. Das heißt, Katerina Iwanowna ist rasend und nicht Ssofja Ssemjonowna; übrigens ist auch Ssofja Ssemjonowna außer sich. Katerina Iwanowna ist aber ganz rasend. Ich sage Ihnen ja, sie ist endgültig verrückt geworden. Man wird sie alle auf die Polizei abführen. Sie können sich wohl denken, wie das auf sie wirken wird ... Sie sind jetzt am Kanal bei der *schen Brücke, gar nicht weit von Ssofja Ssemjonowna. Es ist ganz nahe.«
    Am Kanal, in der Nähe der Brücke und zwei Häuser von der Wohnung Ssonjas entfernt, drängte sich ein Haufe Menschen. Es waren besonders viel Jungen und Mädchen zusammengelaufen. Die heisere, gleichsam gesprungene Stimme Katerina Iwanownas konnte man schon von der Brücke aus hören. Es war ein seltsames Schauspiel, wirklich geeignet, das Straßenpublikum zu interessieren. Katerina Iwanowna in ihrem alten Kleid mit dem grünen Schal und zerbeulten Strohhut, der auf die Seite gerutscht war, befand sich tatsächlich in einem Zustande von Raserei. Sie war müde und keuchte schwer. Das erschöpfte schwindsüchtige Gesicht sah leidender als je aus (außerdem erscheint ein Schwindsüchtiger im Freien, in der Sonne immer leidender und entstellter als im Hause): aber ihr erregter Zustand dauerte an, und sie wurde von Minute zu Minute gereizter. Sie stürzte sich auf die Kinder, schrie sie an, redete ihnen zu, lehrte in Gegenwart des Publikums, wie sie tanzen und was sie singen sollten, versuchte ihnen klarzumachen, warum das nötig sei, geriet in Verzweiflung wegen ihrer Ungelehrigkeit und schlug sie ... Dann brach sie plötzlich ab und stürzte sich gegen das Publikum; sobald sie einen einigermaßen anständig gekleideten Menschen erblickte, der stehen geblieben war, um zuzusehen, begann sie ihm sofort zu erklären, wieso es mit diesen Kindern »aus einem vornehmen, man kann wohl sagen aristokratischen Hause« so weit gekommen sei. Wenn sie in der Menge Lachen oder ein kränkendes Wort hörte, so fiel sie sofort über den Frechen her und begann zu schimpfen. Die einen lachten wirklich, die anderen schüttelten die Köpfe; allen war es interessant, die Verrückte mit den erschrockenen Kindern zu sehen. Die Pfanne, von der Lebesjatnikow erzählt hatte, fehlte; Raskolnikow sah wenigstens keine; doch statt auf einer Pfanne zu trommeln, schlug Katerina Iwanowna den Takt mit ihren ausgemergelten Händen, während Poljetschka singen und Kolja und Lenja tanzen mußten; sie versuchte auch selbst mitzusingen, wurde aber jedesmal bei der zweiten Note von einem heftigen Hustenanfall unterbrochen – dann geriet sie in Verzweiflung, verfluchte ihren Husten und weinte sogar. Am meisten brachten sie das Weinen und die Angst Koljas und Lenjas aus der Fassung. Sie hatte wirklich versucht, die Kinder wie Straßensänger und Sängerinnen auszuputzen. Der Junge hatte einen Turban aus roten und weißen Fetzen auf und sollte einen Türken darstellen. Für Lenja reichte es zu einem Kostüm nicht aus; sie hatte nur eine rote gestrickte Mütze (eigentlich die Schlafmütze) des verstorbenen Ssemjon Sacharytsch auf, an der eine abgebrochene weiße Straußfeder festgesteckt war; diese hatte noch der Großmutter Katerina Iwanownas gehört und war bisher im Koffer als eine Familienrarität verwahrt worden. Poljetschka hatte ihr gewöhnliches Kleid an. Sie sah ihre Mutter scheu und bestürzt an, wich nicht von ihrer Seite, verbarg ihre Tränen, ahnte, daß die Mutter verrückt geworden sei, und blickte unruhig um sich. Die Straße und die Menge machten ihr furchtbar Angst. Ssonja folgte unablässig Katerina Iwanowna, weinte und flehte sie an, nach Hause zurückzukehren. Katerina Iwanowna war aber unerbittlich.
    »Hör auf, Ssonja, hör auf!« schrie sie, sich überstürzend, keuchend und hustend. »Du weißt selbst nicht, um was du bittest, du bist wie ein Kind! Ich sagte dir schon, daß ich zu der betrunkenen Deutschen nicht zurückkehre. Sollen alle, soll ganz Petersburg sehen, wie die Kinder eines adligen Vaters, der sein Leben lang treu und redlich gedient hat und sozusagen im Dienste gestorben ist, betteln. (Katerina Iwanowna hatte sich schon diese Phantasie zurechtgelegt und glaubte blind an sie.) Soll es nur dieser gemeine Geheimrat sehen. Wie dumm bist du doch, Ssonja, was sollen wir jetzt essen, sag mal selbst? Wir haben dich genug gequält, ich will nicht mehr! Ach, Rodion Iwanowitsch, Sie sind es!«

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