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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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rief sie plötzlich, als sie Raskolnikow gewahrte, und stürzte auf ihn zu. »Erklären Sie doch, bitte, diesem Närrchen, daß ich nichts Klügeres tun konnte! Sogar die Leierkastenmänner verdienen sich ihren Unterhalt; uns wird man aber sofort bemerken, man wird erkennen, daß wir eine arme, adlige, verwaiste, an den Bettelstab gebrachte Familie sind; der Geheimrat wird aber seine Stelle verlieren, Sie werden es sehen! Wir werden jeden Tag vor seine Fenster kommen, und wenn der Kaiser vorüberfährt, werde ich niederknien, diese alle vor mir hinstellen und auf sie zeigen: ›Schütze sie, Vater!‹ Er ist ja der Vater der Waisen, er ist barmherzig, er wird uns in Schutz nehmen, Sie werden sehen, den Geheimrat aber ... Lenja! Tenez vous droite! Kolja, gleich wirst du tanzen! Was heulst du? Er heult schon wieder! Nun, was fürchtest du, Närrchen? Mein Gott, was soll ich mit ihnen machen, Rodion Romanowitsch? Wenn Sie nur wüßten, wie dumm sie sind! Nun, was soll ich mit ihnen anfangen?!«
    Sie weinte fast selbst (was sie aber gar nicht hinderte, ununterbrochen und sich überstürzend zu reden) und zeigte auf die weinenden Kinder. Raskolnikow versuchte sie zu überreden, nach Hause zurückzukehren, und sagte sogar, in der Absicht, ihre Eitelkeit zu wecken, daß es für sie unpassend sei, wie ein Leierkastenmann durch die Straßen zu ziehen, da sie doch die Absicht habe, Direktrice eines Pensionats für adlige Töchter zu werden ...
    »Eines Pensionats, ha-ha-ha! Warum nicht gar!« rief Katerina Iwanowna aus, die nach dem Lachanfall wieder einen Hustenanfall bekam. »Nein, Rodion Romanowitsch, dieser Traum ist vorüber! Alle haben uns verlassen! ... Und jener elende Geheimrat ... Wissen Sie, Rodion Romanowitsch, ich habe ihm ein Tintenfaß an den Kopf geschmissen – im Vorzimmer stand auf dem Tisch neben dem Bogen, in den die Besucher ihre Namen eintragen, ein Tintenfaß – das nahm ich, schmiß es ihm an den Kopf und lief weg. Oh, diese Schurken, diese Schurken! Aber ich spucke drauf, jetzt werde ich sie selbst ernähren, werde mich vor niemand mehr erniedrigen! Lange genug haben wir sie gequält! (Sie zeigte auf Ssonja.) – Poljetschka, wieviel haben wir eingesammelt, zeig's her! Wie? Bloß zwei Kopeken? Oh, diese Niederträchtigen! Nichts geben sie her, sie laufen uns nur mit ausgestreckten Zungen nach! Nun, warum lacht dieser Holzklotz? (Sie zeigte auf jemand in der Menge.) Das kommt alles, weil Kolja so ungelehrig ist! Ist das eine Plage mit ihm! Was willst du, Poljetschka? Sprich mit mir Französisch, parlez moi français. Ich habe dich doch unterrichtet, du kennst einige Sätze! ... Wie soll man denn sonst erkennen, daß ihr wohlerzogene Kinder aus adliger Familie seid und keine gewöhnlichen Leierkastenmänner. Wir sind doch keine Hanswürste, wir wollen eine vornehme Romanze singen ... Ach, ja! Was wollen wir denn singen? Ihr unterbrecht mich immer, wir sind aber ... sehen Sie, Rodion Romanowitsch, wir sind hier stehengeblieben, um auszuwählen, was wir singen sollen, damit Kolja dazu tanzen kann ... denn wir machen alles, denken Sie sich nur, ganz ohne Vorbereitung; wir müssen es besprechen und zuerst proben, und dann gehen wir auf den Newskij, wo viele Menschen aus der höchsten Gesellschaft sind, dort wird man uns sofort bemerken. Lenja kennt nur das eine Lied ›Das Landhäuschen‹ ... Aber immer das ›Landhäuschen‹ und immer wieder das ›Landhäuschen‹ – alle singen das! Wir müssen etwas viel Vornehmeres singen ... Nun, was ist dir eingefallen, Poljetschka? Wenn du doch der Mutter helfen wolltest! Ich habe gar kein Gedächtnis mehr, sonst wäre mir schon was eingefallen! Wir wollen doch nicht das Lied ›Auf seinen Säbel stützt sich der Husar‹ singen! ... Ach, singen wir doch Französisch: ›Cinq sous‹! Ich habe es euch gelehrt! Vor allem aber: da es Französisch ist, so werden alle gleich sehen, daß ihr adlige Kinder seid, und das wird rührender wirken ... Man könnte auch ›Marlborough s'en va-t-en guerre‹ singen: das ist ein wirkliches Kinderlied und wird in aristokratischen Häusern gesungen, wenn man die Kinder in den Schlaf wiegt:
     
    Marlborough s'en va-t-en guerre,
    Ne sait quand reviendra ...«
     
    begann sie zu singen. »Nein, lieber schon ›Cinq sous‹! Nun, Kolja, die Händchen in die Seiten, und schneller, und du, Lenja, dreh dich in der entgegengesetzten Richtung, und ich und Poljetschka werden mitsingen und in die Hände klatschen!
     
    Cinq sous, cinq

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