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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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böse, Bruder, ich komme nur auf einen Augenblick«, sagte Dunja.
    Ihr Gesichtsausdruck war nachdenklich, aber nicht streng. Sie blickte heiter und still. Er sah, daß auch sie mit ihrer Liebe zu ihm gekommen war.
    »Bruder, ich weiß jetzt alles, alles . Dmitrij Prokofjewitsch hat mir alles erklärt und erzählt. Man verfolgt und quält dich auf Grund eines dummen, gemeinen Verdachts ... Dmitrij Prokofjewitsch sagte mir, daß gar keine Gefahr vorliegt und daß du dies alles unnütz mit solcher Angst hinnimmst. Ich denke es mir anders und begreife vollkommen , wie tief dein ganzes Wesen empört sein muß und daß diese Empörung in dir für immer ihre Spuren hinterlassen kann. Dies fürchte ich eben. Dafür, daß du uns verlassen hast, verurteile ich dich nicht und wage nicht, dich zu verurteilen; verzeihe mir, daß ich dir dies vorgeworfen habe. Ich fühle auch selbst, daß, wenn ich so ein Leid hätte, auch ich von allen fortgehen würde. Der Mutter werde ich davon nichts erzählen, werde aber ununterbrochen von dir sprechen und ihr in deinem Namen sagen, daß du sehr bald kommen wirst. Quäle dich nicht ihretwegen, ich werde sie beruhigen; aber quäle auch sie nicht und komme wenigstens einmal zu ihr: vergiß nicht, daß sie die Mutter ist! Jetzt komme ich aber nur, um dir zu sagen (Dunja schickte sich an, aufzustehen), daß, im Falle du mich irgendwie brauchst oder ... mein Leben brauchen kannst, oder sonst etwas ... so rufe mich, ich werde kommen. Leb wohl!«
    Sie wandte sich schnell und ging zur Tür.
    »Dunja!« hielt Raskolnikow sie zurück. Er stand auf und ging auf sie zu. »Dieser Dmitrij Prokofjewitsch Rasumichin ist ein sehr guter Mensch.«
    Dunja errötete leicht.
    »Nun?« fragte sie nach einer Minute.
    »Er ist ein tüchtiger, fleißiger und ehrlicher Mensch und einer großen Liebe fähig ... Leb wohl, Dunja.«
    Dunja wurde ganz rot und fuhr dann auf:
    »Was fällt dir ein, Bruder! Trennen wir uns denn wirklich für alle Ewigkeit, daß du mir ... solche Vermächtnisse hinterläßt?«
    »Ist ganz gleich ... leb wohl ...«
    Er wandte sich von ihr weg und ging zum Fenster. Sie stand noch eine Weile da, sah ihn besorgt an und ging tief erregt hinaus.
    Nein, er war nicht kalt zu ihr. Es war ein Augenblick (der allerletzte), wo er furchtbare Lust hatte, sie zu umarmen, sich von ihr zu verabschieden und ihr es sogar zu sagen: er konnte sich aber nicht mal entschließen, ihr die Hand zu reichen.
    – Sie wird vielleicht später noch erschauern beim Gedanken, daß ich sie jetzt umarmt habe; sie wird sagen, ich hätte ihr den Kuß gestohlen! –
    – Und wird sie es aushalten oder nicht aushalten? – fügte er nach einer Weile hinzu. – Nein, sie wird es nicht aushalten; eine solche kann so was nicht aushalten! Solche halten es niemals aus ... –
    Und er dachte an Ssonja.
    Vom Fenster wehte Kühle herein. Draußen war es nicht mehr so hell. Er nahm plötzlich die Mütze und ging hinaus.
    Er konnte sich um seinen krankhaften Zustand natürlich nicht kümmern und wollte es auch nicht. Doch diese ganze ununterbrochene Unruhe und seelische Angst konnten an ihm nicht spurlos vorübergehen. Und wenn er auch noch nicht in einem wirklichen Fieber daniederlag, so vielleicht nur darum, weil diese ununterbrochene innere Unruhe ihn noch auf den Beinen und bei Bewußtsein erhielt, wenn auch künstlich und vorübergehend.
    Er irrte planlos umher. Die Sonne ging unter. In der letzten Zeit überkam ihn oft ein ganz besonderes Unlustgefühl. Es war darin nichts Scharfes oder Brennendes; aber ihm entströmte etwas Ewiges und Bleibendes, die Vorahnung endloser Jahre mit diesem kalten, tötenden Gram, die Vorahnung einer Ewigkeit auf einem »arschinbreiten Raume«. In den Abendstunden quälte ihn dieses Gefühl gewöhnlich besonders stark.
    »Und mit diesen dummen, rein physischen Beschwerden, die von irgendeinem Sonnenuntergang abhängen, soll einer keine Dummheiten begehen! Da möchte man nicht bloß zu Ssonja, – auch zu Dunja hingehen!« murmelte er gehässig.
    Jemand rief seinen Namen. Er sah sich um, Lebesjatnikow stürzte auf ihn zu.
    »Denken Sie sich nur, ich war eben bei Ihnen, ich suche Sie. Denken Sie sich nur: sie hat ihre Absicht verwirklicht und ist mit den Kindern weggelaufen. Ssofja Ssemjonowna und ich haben sie nur mit Mühe gefunden. Sie selbst schlägt auf eine Pfanne und läßt die Kinder tanzen. Die Kinder weinen. Sie bleiben an den Straßenecken und vor den Läden stehen. Das dumme Volk rennt hinter

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