Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)
früheren Eindrücke, das frühere Panorama, und sich selbst; und alles, alles ... Es war ihm, als fliege er irgendwo hinauf und als verschwinde alles vor seinen Augen. Bei einer unwillkürlichen Handbewegung fühlte er plötzlich in seiner Faust das Zwanzigkopekenstück. Er öffnete die Hand, sah die Münze aufmerksam an, schwang den Arm und warf sie ins Wasser; dann wandte er sich um und ging nach Hause. Ihm schien es, als hätte er sich in diesem Augenblick selbst mit einer Schere von allen und von allem abgeschnitten.
Er kam erst gegen Abend heim, also war er wohl an die sechs Stunden herumgegangen. Auf welchem Wege er zurückgegangen war, wußte er nicht mehr. Er zog sich aus, legte sich, wie ein abgehetztes Pferd am ganzen Leibe zitternd, aufs Sofa, zog den Mantel über sich und schlief sofort ein.
Er kam zur Besinnung in völliger Dämmerung, von einem furchtbaren Schrei geweckt. Gott, was war das für ein Schrei! Solche unnatürlichen Laute, solches Heulen, Jammern, Zähneknirschen, Schluchzen, solche Schläge und Schimpfworte hatte er noch nie erlebt und nie gehört. Er konnte sich eine solche Roheit, eine solche Raserei nicht mal vorstellen. Von Entsetzen gepackt, erhob er sich und setzte sich auf seinem Lager auf; jeden Augenblick erstarb er vor schmerzvollem Grauen. Doch die Schläge, das Jammern und Fluchen wurden immer stärker und stärker. Und plötzlich erkannte er zu seinem größten Erstaunen die Stimme seiner Wirtin. Sie heulte, kreischte und jammerte, brachte die Worte in solcher Hast heraus, daß man nichts verstehen konnte, sie flehte um etwas, – natürlich, daß man sie zu schlagen aufhöre, denn sie wurde auf der Treppe von jemand erbarmungslos geschlagen. Die Stimme des Schlagenden war vor Wut und Raserei so schrecklich, daß sie nur noch röchelte, aber auch der Schlagende sagte etwas, ebenso hastig, unverständlich und sich überstürzend. Plötzlich erbebte Raskolnikow wie Espenlaub: er erkannte die Stimme; es war die Stimme von Ilja Petrowitsch. Ilja Petrowitsch ist hier und schlägt seine Wirtin! Er tritt sie mit den Füßen, schlägt sie mit dem Kopf gegen die Stufen – das ist klar, das kann man an den Lauten, den Schreien, den Schlägen erkennen! Geht die Welt unter? Es war zu hören, wie sich die Leute aus allen Stockwerken auf der Treppe versammelten, man hörte Stimmen und Ausrufe, sie gingen hinauf, klopften, schlugen die Türen zu, liefen zusammen. »Aber wofür, wofür, wie kann man das nur!« wiederholte er vor sich hin, ernsthaft davon überzeugt, daß er den Verstand verloren hätte. Aber nein, er hört es zu deutlich! ... Also wird man wohl gleich auch zu ihm kommen, wenn es sich wirklich so verhält, – denn das ist sicher wegen desselben ... wegen des gestrigen ... Mein Gott! – Er wollte die Tür zuhaken, konnte aber die Hand nicht heben ... das wäre ja auch nutzlos! Die Angst legte sich um seine Seele wie Eis, sie zermarterte ihn, sie ließ ihn vor Kälte erstarren ... Endlich schien dieser ganze Lärm, der mindestens zehn Minuten gedauert hatte, allmählich aufzuhören. Die Wirtin stöhnte und ächzte. Ilja Petrowitsch drohte und fluchte noch immer ... Endlich schien auch er ruhiger zu werden; nun ist er nicht mehr zu hören. »Ist er denn wirklich fortgegangen? Mein Gott!« Ja, da entfernt sich, noch immer stöhnend und weinend, die Wirtin ... da fällt auch schon ihre Tür ins Schloß ... Da zieht sich auch schon die Menge von der Treppe in ihre Wohnungen zurück, – die Leute jammern, streiten, wechseln Bemerkungen, die Stimmen bald zum Geschrei erhebend, bald zum Flüstertone dämpfend. Es waren ihrer wohl viele gewesen; fast das ganze Haus war zusammengelaufen. »Aber, mein Gott, ist denn das möglich! Und wozu, wozu war er hergekommen?«
Raskolnikow fiel entkräftet auf das Sofa, konnte aber die Augen nicht mehr schließen; so lag er etwa eine halbe Stunde in solcher Qual, von einem so grenzenlosen Schrecken gepackt, wie er ihn noch nie empfunden hatte. Plötzlich wurde sein Zimmer von einem grellen Schein erleuchtet: Nastasja kam mit einer Kerze und einem Teller Suppe zu ihm herein. Nachdem sie ihn aufmerksam betrachtet und festgestellt hatte, daß er nicht schlief, stellte sie die Kerze auf den Tisch und begann das Mitgebrachte aufzustellen: Brot, Salz, einen Teller und Löffel ...
»Hast wohl seit gestern nichts gegessen. Hast dich den ganzen Tag herumgetrieben, im Fieber und Schüttelfrost.«
»Nastasja ... warum schlug man die Wirtin?«
Sie sah
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