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Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Titel: Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij
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aufwachen würde. Er erinnerte sich ans Gestrige mit allen Einzelheiten und begriff, daß mit ihm etwas ganz Ungewöhnliches geschehen war, daß er einen gewissen neuen, ihm bis dahin unbekannten Eindruck aufgenommen hatte, der allen bisherigen so gar nicht glich. Zugleich war er sich vollkommen klar, daß der Gedanke, der sich in seinem Kopfe festgesetzt hatte, im höchsten Grade unerfüllbar war, – dermaßen unerfüllbar, daß er sich seiner sogar schämte und so schnell als möglich zu anderen dringenderen Sorgen und Fragen überging, die ihm der »dreimal verfluchte gestrige Tag« als Erbe hinterlassen hatte.
    Die schrecklichste Erinnerung war für ihn, daß er sich gestern als »niedrig und gemein« gezeigt hatte, nicht nur weil er betrunken war, sondern auch weil er vor dem jungen Mädchen, deren Lage er ausnutzte, aus dümmster voreiliger Eifersucht ihren Bräutigam beschimpft hatte, ohne ihre gegenseitigen Beziehungen und Verpflichtungen, ohne sogar den Menschen selbst richtig zu kennen. Welches Recht hatte er auch, so vorschnell und übereilt über ihn zu urteilen? Wer hat ihn zum Richter berufen? Ist denn so ein Geschöpf wie Awdotja Romanowna imstande, sich einem unwürdigen Menschen für Geld hinzugeben? Also muß er auch Vorzüge haben. Die möblierten Zimmer? Ja, woher hätte er auch wissen sollen, daß es solche Zimmer sind? Er richtet doch auch eine Wohnung ein ... pfui, wie gemein war das! Und was ist das für eine Entschuldigung, daß er damals betrunken war? Eine dumme Ausrede, die ihn noch mehr herabsetzte! Im Weine hat sich wirklich die Wahrheit gezeigt, nämlich: »Der ganze Schmutz seines neidischen rohen Herzens!« Und ist denn solch ein Gedanke ihm, Rasumichin, überhaupt erlaubt? Wer ist er im Vergleich mit diesem jungen Mädchen, er, der betrunkene Skandalmacher und gestrige Aufschneider? »Ist denn eine solche zynische und lächerliche Nebeneinanderstellung überhaupt möglich?« Rasumichin errötete furchtbar bei diesem Gedanken, und im gleichen Augenblick fiel es ihm plötzlich ein, daß er ihnen gestern auf der Treppe gesagt hatte, die Wirtin würde seinetwegen auf Awdotja Romanowna eifersüchtig sein ... das war schon ganz unerträglich. Er schlug aus aller Kraft mit der Faust auf den Küchenherd, verletzte sich die Hand und schlug einen Ziegelstein heraus.
    »Natürlich«, sagte er sich nach einer Minute mit einem eigentümlichen Gefühl von Selbsterniedrigung, »alle diese Gemeinheiten kann ich jetzt nicht mehr beschönigen oder wiedergutmachen ... also darf ich daran nicht mal denken, muß vielmehr schweigend hingehen und ... meine Pflicht tun ... ebenfalls schweigend und ... und nicht um Entschuldigung bitten und nichts sagen und ... und natürlich ist jetzt alles verloren!«
    Trotzdem untersuchte er beim Ankleiden seinen Anzug sorgfältiger als gewöhnlich. Andere Kleider hatte er nicht, und wenn er auch welche gehabt hätte, so hätte er sie vielleicht gar nicht angezogen, »absichtlich nicht«. Aber Zyniker und Schmutzfink durfte er keineswegs bleiben: er hatte kein Recht, die Gefühle anderer zu verletzen, um so mehr, als diese anderen seiner benötigten und ihn selbst zu sich riefen. Er reinigte seinen Anzug sorgfältig mit einer Bürste. Seine Wäsche war immer erträglich; in dieser Beziehung war er besonders reinlich.
    An diesem Morgen wusch er sich auch besonders sorgfältig – bei Nastasja fand sich ein Stück Seife –, er wusch sich den Kopf, den Hals und besonders die Hände. Als er aber vor der Frage stand, ob er sich auch seine Borsten rasieren sollte oder nicht (Praskowja Pawlona hatte ausgezeichnete Rasiermesser, die vom verstorbenen Herrn Sarnizyn geblieben waren), so entschied er diese Frage, sogar mit Wut, im negativen Sinne: »Soll es nur so bleiben! Sie werden noch glauben, ich hätte mich rasiert, um ... ja, sie werden es gewiß glauben! Nein, um nichts in der Welt!« –
    Und ... und die Hauptsache ist, daß er so roh und schmutzig ist und Wirtshausmanieren hat; er weiß zwar, daß er ein einigermaßen anständiger Mensch ist ... aber kann man denn damit prahlen, daß man ein anständiger Mensch ist? Jeder Mensch muß anständig sein und noch mehr als er, und ... und er hat auch einiges (er weiß es noch) auf dem Gewissen ... nicht daß es etwas Unehrenhaftes wäre, aber immerhin! ... Und was er bloß für Gedanken gehabt hat! Hm! ... Und wenn er dabei an Awdotja Romanowna denkt! Na, zum Teufel damit ... Soll es nur so bleiben! – »Ich will absichtlich

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