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Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Titel: Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij
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schnell mit einem Ruck auf dem Lager auf und sagte beinahe herausfordernd, doch mit gebrochener, schwacher Stimme:
    »Ja! Ich bin Raskolnikow! Was wollen Sie?«
    Der Gast blickte ihn aufmerksam an und sagte eindringlich:
    »Pjotr Petrowitsch Luschin. Ich nehme als sicher an, daß mein Name Ihnen nicht ganz unbekannt ist.«
    Aber Raskolnikow, der etwas ganz anderes erwartet hatte, sah ihn stumpf und nachdenklich an und antwortete nicht, als höre er den Namen Pjotr Petrowitschs wirklich zum erstenmal.
    »Wie, haben Sie denn bisher noch keinerlei Nachrichten bekommen?« fragte Pjotr Petrowitsch peinlich berührt.
    Statt eine Antwort zu geben, ließ sich Raskolnikow langsam auf das Kissen fallen, verschränkte die Hände im Nacken und richtete seinen Blick auf die Zimmerdecke. Luschins Züge zeigten Langweile und Unbehagen. Sossimow und Rasumichin fingen an, ihn mit noch größerer Neugier zu mustern, und er wurde schließlich sichtlich verlegen.
    »Ich nahm an und rechnete,« sagte er langsam, »daß der Brief, der schon vor mehr als zehn Tagen, vielleicht sogar vor zwei Wochen abgegangen ist ...«
    »Hören Sie mal, was sollen Sie immer in der Tür stehen?« unterbrach ihn plötzlich Rasumichin. »Wenn Sie etwas zu sagen haben, so setzen Sie sich, denn für Sie und Nastasja ist es in der Tür zu eng. Nastasjuschka, laß den Herrn durchgehen! Kommen Sie herein, hier haben Sie einen Stuhl! Kriechen Sie doch herein!«
    Er rückte seinen Stuhl vom Tische weg, machte den Raum zwischen dem Tisch und seinen Knien ein wenig frei und wartete in gespannter Stellung, daß der Gast durch diesen Spalt durchkrieche. Der Augenblick war so gewählt, daß jener sich nicht weigern konnte, und der Gast kroch eilig und stolpernd durch den engen Zwischenraum. Nachdem er den Stuhl erreicht hatte, setzte er sich hin und blickte Rasumichin mißtrauisch an.
    »Genieren Sie sich bitte nicht«, warf jener hin. »Rodja ist schon den fünften Tag krank und hat drei Tage phantasiert; jetzt ist er zu sich gekommen und hat sogar mit Appetit gegessen. Da sitzt sein Arzt, er hat ihn soeben untersucht, und ich bin Rodjas Kollege, auch ein ehemaliger Student, und bemuttere ihn jetzt; nehmen Sie also bitte auf uns keine Rücksicht und sagen Sie, was Sie wollen.«
    »Ich danke Ihnen. Werde ich aber nicht den Kranken durch meine Anwesenheit und mein Gespräch beunruhigen?« wandte sich Pjotr Petrowitsch an Sossimow.
    »N-nein«, sagte Sossimow langsam. »Sie können ihn vielleicht zerstreuen.« Und er gähnte wieder.
    »Oh, er ist schon lange bei Besinnung, seit heute früh!« fuhr Rasumichin fort, dessen Familiarität den Eindruck einer so unverfälschten Herzenseinfalt machte, daß Pjotr Petrowitsch nach einiger Überlegung seine Fassung wieder gewann, vielleicht zum Teil auch darum, weil dieser abgerissene und freche Mensch sich schon als Student vorgestellt hatte.
    »Ihre Frau Mama ...« begann Luschin.
    »Hm!« versetzte Rasumichin laut.
    Luschin sah ihn fragend an.
    »Ich sage nichts. Fahren Sie fort ...«
    Luschin zuckte die Achseln.
    »... Ihre Frau Mama hat, noch als ich dort war, einen Brief an Sie begonnen. Nach meiner Ankunft ließ ich absichtlich einige Tage verstreichen und suchte Sie nicht auf, um ganz sicher zu sein, daß Sie von allem unterrichtet sind; jetzt aber ... zu meinem Erstaunen ...«
    »Ich weiß, ich weiß!« sagte plötzlich Raskolnikow mit dem Ausdrucke des ungeduldigsten Ärgers. »Sie sind es? Der Bräutigam? Nun, ich weiß! ... und genug davon! ...«
    Pjotr Petrowitsch fühlte sich entschieden verletzt, sagte aber nichts. Er bemühte sich, möglichst schnell dahinter zu kommen, was dies alles zu bedeuten habe. Das Schweigen währte etwa eine Minute.
    Raskolnikow, der sich bei seiner Antwort ein wenig zu ihm umgewandt hatte, begann indessen wieder, ihn aufmerksam und mit einer eigentümlichen Neugier zu betrachten, als hätte er vorhin noch nicht Zeit gehabt, ihn vollständig zu sehen, oder als hätte ihn etwas Neues an ihm überrascht; er hob sogar zu diesem Zweck seinen Kopf vom Kissen. Im ganzen Aussehen Pjotr Petrowitschs fiel in der Tat etwas Eigentümliches auf, was die Bezeichnung »Bräutigam«, die man ihm soeben etwas ungeniert verliehen hatte, zu rechtfertigen schien. Erstens konnte man ihm ansehen, und zwar viel zu deutlich, daß Pjotr Petrowitsch sich mit Eifer beeilt hatte, die einigen Tage seines Aufenthalts in der Residenz auszunutzen, um sich in Erwartung der Braut auszuputzen und zu verschönen, was

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