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Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Titel: Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij
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Einzelperson, sondern infolge des allgemeinen Wohlstandes. Der Gedanke ist einfach, ist aber leider lange Zeit niemand eingefallen, da er von Exaltation und Schwärmerei verdeckt war; und doch müßte man meinen, daß man gar nicht besonders geistreich zu sein braucht, um auf ihn zu kommen ...«
    »Entschuldigen Sie, ich bin aber gar nicht geistreich«, unterbrach ihn Rasumichin scharf. »Darum wollen wir lieber aufhören. Ich habe ja das Gespräch mit einer ganz bestimmten Absicht darauf gebracht, sonst habe ich dieses ganze Geschwätz, mit dem man sich bloß ergötzt, alle diese endlosen, unaufhörlichen Gemeinplätze und das ewige Einerlei in drei Jahren so satt bekommen, daß ich, bei Gott, erröte, wenn auch andere in meiner Gegenwart, und nicht nur ich, davon sprechen. Sie haben sich selbstverständlich beeilt, Ihre Kenntnisse zu zeigen, um in einem günstigen Lichte zu erscheinen; dies ist durchaus verzeihlich, und ich verurteile es nicht. Ich aber wollte nur erfahren, wer Sie sind; denn, sehen Sie, in der letzten Zeit haben sich so viele Industrieritter an die allgemeine Sache gehängt und alles, was sie nur berührt haben, in ihren eigenen Interessen dermaßen verunstaltet, daß die ganze Sache verdreckt ist. Nun, genug davon!«
    »Mein Herr,« begann Herr Luschin, mit großer Würde das Gesicht verziehend, »wollen Sie damit etwa in einer so verletzenden Form sagen, daß auch ich ...«
    »Oh, bitte, bitte ... Wie könnte ich es denn! ... Nun ist's genug!« schnitt Rasumichin ab und wandte sich jäh, im unterbrochenen Gespräch fortfahrend, an Sossimow.
    Pjotr Petrowitsch war klug genug, um dieser Erklärung sofort zu glauben. Übrigens hatte er sich entschlossen, nach zwei Minuten wegzugehen.
    »Ich hoffe, daß unsere eben geschlossene Bekanntschaft«, wandte er sich an Raskolnikow, »nach Ihrer Genesung und angesichts der Ihnen bekannten Umstände sich noch mehr festigen wird ... Ganz besonders wünsche ich Ihnen Gesundheit ...«
    Raskolnikow wandte sich nach ihm nicht mal um. Pjotr Petrowitsch machte Anstalten, sich vom Stuhle zu erheben.
    »Den Mord beging unbedingt ein Pfandgeber!« sagte Sossimow mit Nachdruck.
    »Unbedingt ein Pfandgeber!« bestätigte Rasumichin. »Porfirij verrät seine Gedanken nicht, verhört aber alle Pfandgeber ...«
    »Er verhört die Pfandgeber?« fragte Raskolnikow laut.
    »Ja, was ist denn?«
    »Nichts.«
    »Wo nimmt er sie denn her?« fragte Sossimow.
    »Die einen hat Koch angegeben; die Namen der andern standen auf den Umhüllungen der Pfänder, und manche kamen von selbst, als sie davon hörten ...«
    »Das muß aber eine geschickte und erfahrene Kanaille sein! Diese Kühnheit! Diese Entschlossenheit!«
    »Das ist es eben, daß es nicht der Fall ist!« unterbrach ihn Rasumichin. »Das bringt euch alle auf einen falschen Weg. Ich sage aber: ein ungeschickter und unerfahrener Mensch, und das war sicher sein erster Schritt! Wenn man eine Berechnung und eine kluge Kanaille annimmt, erscheint es unglaublich. Wenn man aber einen Unerfahrenen annimmt, so kommt man zum Schluß, daß ihn nur der Zufall gerettet hat, – und was tut nicht alles der Zufall! Erlaube doch: er hat vielleicht nicht mal die Hindernisse vorausgesehen! Und wie machte er die Sache? – Er nimmt Gegenstände im Werte von zehn und zwanzig Rubeln, stopft sie sich in die Tasche, wühlt in der Altweibertruhe, in allerlei Lumpen herum, – und in der Kommode, in der oberen Schublade findet man nachher an Bargeld allein anderthalb Tausend Rubel, außer den Wertpapieren! Er hat nicht mal verstanden, zu plündern: nur zu morden hat er verstanden! Der erste Schritt war es, sage ich dir, der erste Schritt; er hat seine Fassung verloren! Und nicht durch Berechnung, sondern durch einen Zufall ist er der Gefahr entronnen!«
    »Ich glaube, Sie sprechen von der kürzlichen Ermordung der alten Beamtenwitwe?« mischte sich ins Gespräch Pjotr Petrowitsch, der schon mit Hut und Handschuhen in der Hand stand, doch vor dem Fortgehen noch einige kluge Worte sagen wollte. Offenbar war er um einen guten Eindruck besorgt, und die Eitelkeit besiegte die Vernunft.
    »Ja. Haben Sie es gehört?«
    »Gewiß, es geschah ja in der Nachbarschaft ...«
    »Kennen Sie auch die Einzelheiten?«
    »Das will ich nicht behaupten; mich interessiert aber dabei ein anderer Umstand, sozusagen das ganze Problem. Ich spreche nicht davon, daß die Verbrechen in den unteren Klassen in den letzten fünf Jahren zugenommen haben, ich spreche auch nicht von

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