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Verdammt wenig Leben

Verdammt wenig Leben

Titel: Verdammt wenig Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Alonso , Javier Pelegrin
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kennzeichnete, obwohl er wusste, dass er keins finden würde. Erst als er auf der letzten Seite angelangt war, wurde ihm klar, dass Clarissa auf mehreren Panels zu sehen gewesen war. Ungläubig kehrte er an den Anfang zurück. Diesmal las er das Skript von Anfang bis Ende, und je weiter er las, desto tiefer wurde die Falte zwischen seinen Augenbrauen.
    Das hätte er sich ja denken können, aber bei den ganzen Aufregungen der letzten Stunden hatte er es nicht kommen sehen. Die Drehbuchautoren hatten die von Alice improvisierte Eifersuchtsszene dazu benutzt, seiner Geschichte eine neue Wendung zu geben. Er hatte ja schon länger den Verdacht, dass sein Produzent ihn in eine Dreiecksbeziehung manövrieren wollte und jetzt hatte Alice ihnen die Gelegenheit auf dem Silbertablett serviert. Herausgekommen war ein ziemlich klischeehaftes Date in einem Hotel am Strand, bei dem Jason und seine frühere Freundin wieder miteinander ins Bett gingen.
    Aber das war gar nicht das Schlimmste. Jason wusste, dass sie ihn ab jetzt zwingen würden, gelegentlich mit Clarissa aufzutreten und sogar mit ihr zu schlafen. Der fiese Teil des Drehbuchs kam, als sie gerade im Bett waren. Es klopfte, und noch ehe er etwas tun konnte, stand Alice im Zimmer. Als sie ihn und Clarissa zusammen sah, brach sie in Tränen aus und überschüttete ihn mit Vorwürfen. Dann zog sie türenknallend ab. Jason wollte ihr folgen, aber Clarissa hielt ihn mit einem Kuss zurück, und beide gingen ins Bett zurück und setzten vergnügt die Liebesszene fort, ohne sich weiter um Alice zu kümmern.
    Die Szene war primitiv und völlig fantasielos, Alice’ Sätze und seine holprigen Erwiderungen, als er sich ertappt sah, waren vollkommen banal. Dass ihr auch sprachlich der Pep fehlte, machte sie doppelt peinlich.
    Ihm war speiübel. Diesen Mist konnte er unmöglich auswendig lernen und erst recht nicht schauspielerisch umsetzen. Aber vielleicht war das die Strafe für alles, was er sich in den letzten Tagen geleistet hatte. Dieser Gedanke hatte etwas Beruhigendes. Vielleicht wollte ihm der Produzent auf diese Weise mitteilen, dass das Spiel aus war. Indem er ihn dazu zwang, diese grässliche Szene zu drehen, verwies er ihn wieder auf seinen Platz. »Wir haben das Sagen und du ordnest dich unter«, schien die Botschaft zu lauten. »Wehe, du funkst uns noch mal dazwischen, dann ziehen wir andere Saiten auf.«
    Vielleicht war das der Punkt. Aber nur vielleicht. Jason wusste nicht, in welchem Verhältnis sein Produzent zu den Formaten stand, bei denen er sich eingemischt hatte. Solche Dinge erfuhr man nicht. Die Namen der Medienkonzerne wurden nicht einmal im Abspann genannt. Sie blieben im Schatten und handelten mit den Sendungen, als wären es Aktien. Serien wurden erworben oder abgestoßen, Stars wechselten den Besitzer wie früher Geldscheine. Nicht einmal sie selbst wussten immer genau, wem sie gehörten. Deswegen sprachen alle nur ganz allgemein von »den Produzenten«: weil sie die Namen ihrer Bosse nicht kannten.
    Möglicherweise hatte der Produzent, für den er seit mehreren Jahren arbeitete (oder zu arbeiten glaubte), zugleich auch die Senderechte von Edgar Frey, den Allen-Schwestern und der Realityshow »Lebendige Lyrik«. Oder nur von einem der Formate oder gar keinem. Dann wollte er ihn vielleicht dazu benutzen, die Konkurrenz in Verruf zu bringen, ohne sich die Finger schmutzig zu machen. Wenn die Sache publik wurde, würde Jason als einziger Verantwortlicher dastehen, da war er sich sicher.
    Aber wenn die Sendungen, die er »verdorben« hatte, einem Konkurrenten gehörten, war es doch eher fraglich, ob sein Produzent sich auf eine derartige Schlammschlacht einlassen würde. Im Gegenteil, in solchen Dingen würden sich die Konzerne bestimmt gegenseitig decken.
    Das würde wieder darauf hinauslaufen, dass Minerva auf eigene Faust gehandelt hatte, ohne Rückendeckung des Produzenten. Dann würden »die da oben« sich wahrscheinlich untereinander einigen, um zu verhindern, dass ans Licht käme, was in den drei Sendungen ursprünglich geschehen sollte. Sonst würde der Ruf des Mediengeschäfts insgesamt in den Schmutz gezogen, und daran war niemandem gelegen.
    Entnervt warf Jason das Telefon aufs Bett und blieb ein paar Minuten reglos am Fenster stehen. Ohne sie wirklich zu sehen, starrte er auf die Glasfassaden der Hochhäuser ringsherum, die wie Weihnachtsbäume mit kleinen goldenen Lichtern gesprenkelt waren. Jedes dieser Lichter bezeichnete einen Ort, an dem

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