Verdammt wenig Leben
war, als würde er von einem Meer aus Hass getragen, fast spürte er den Boden unter seinen Füßen nicht mehr.
Zwei Meter vor Alice blieb er stehen und sah ihr herausfordernd in die Augen.
Alice hatte dieses Spiel als Erste satt. Sie ging ruhig an Jason vorbei auf das Bettsofa zu, ließ sich elegant darauf nieder und machte sich daran, ihre Stiefel auszuziehen.
Jason sah ihr dabei zu und wurde immer wütender.
»Willst du nicht wissen, warum ich hier bin?«, fragte er und stellte sich vor sie hin.
Doch Alice sah ihn nicht einmal an. Sie wirkte völlig auf den Reißverschluss ihres rechten Stiefels konzentriert, der sich nicht bewegen ließ.
»Findest du das etwa amüsant?« Jason musste sich beherrschen, um sie nicht zu schütteln.
Endlich hatte sie es geschafft, den Stiefel auszuziehen, und beäugte mit kritischer Miene ihren Strumpf, der seitlich am großen Zeh eine winzige Laufmasche hatte. »Zuerst bist ja wohl du mir eine Erklärung schuldig.« Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Also gut. Was machst du hier?«
Aber Jason war schon so wütend, dass er die Frage nicht mehr hörte.
»Warum spionierst du mir nach?«, brach es aus ihm heraus. »Für wen arbeitest du? Wie konntest du nur? Ich habe dir immer nur Liebe gegeben, und du …«
Jason sprach den Satz nicht zu Ende, weil ein kindliches Schluchzen ihn übermannte, das ihm schrecklich peinlich war. Er schluckte, entschlossen, die Tränen zurückzudrängen. Er wollte nicht, dass sie ihn so sah, am Boden zerstört und zutiefst gekränkt über ihre Gleichgültigkeit.
»Du hast mir Liebe gegeben?«, wiederholte Alice; ihr sarkastischer Ton überraschte Jason. »Ausgerechnet du? Ach komm, Jason, mach dir doch nichts vor! Du hast mich zu allem Möglichen benutzt. Um deine Quote zu steigern, um beliebter zu werden und natürlich auch um dich mit mir zu vergnügen. Meinst du wirklich, ich wäre dir etwas schuldig? Du bist ein Idiot.«
»Ja, ich bin ein Idiot, weil ich mich in dich verliebt habe. Weil ich geglaubt habe, du würdest auch etwas für mich empfinden. Wolltest du mich wirklich umbringen, Alice?«
Sie lächelte seltsam.
»Es war nicht meine Idee«, antwortete sie, ohne die Augen niederzuschlagen. »Ich tue nur, was in meinen Drehbüchern steht.«
»Du hättest mich eiskalt erschossen …«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Es ist ein riskanter Schritt für meine Figur, aber vielleicht ist es meine große Chance«, erklärte sie. »Ich habe dem Produzenten gesagt, dass ich nicht zu dir zurückwill, Jason. Ich hatte es satt, dein Püppchen zu sein. Aber als sie mir erzählten, wie deine Serie enden würde, haben sie mich überzeugt. Und danach sollte ich in einer eigenen Sendung die Hauptrolle bekommen.«
Die brutale Offenheit ihrer Erklärung verschlug Jason die Sprache. Erst nach mehreren Sekunden hatte er sich wieder gefasst.
»Man kann doch nicht jemanden töten, bloß um die Einschaltquote zu steigern«, sagte er im traurigmahnenden Tonfall von Eltern, die ihren Kindern erklären wollen, warum sie sich schlecht benommen haben. »Das ist abartig, Alice. So weit kann man nicht gehen, nur der Unterhaltung wegen. Es muss – es muss Grenzen geben.«
Mit gespielter Überraschung riss Alice die Augen auf.
»Warum muss es Grenzen geben?«, fragte sie. »Der Tod ist das älteste Massenspektakel der Geschichte. Denk an die Gladiatorenkämpfe im alten Rom oder an die Menschenopfer der Mayas. Warum sollte sich daran etwas geändert haben?«
»Weil wir aus der Unterhaltung eine Kultur gemacht haben. Bei uns tritt jeder in der Arena auf. Wenn wir den Tod in den Drehbüchern zulassen …«
»Was dann?«, unterbrach Alice ihn. »Was macht das für einen Unterschied? Unsere Leben sind unecht, künstlich bis ins letzte Detail! Warum sollte unser Tod dann echt sein? Das ist nicht logisch … Überleg doch mal. Ein von einem guten Drehbuchautor geschriebener Tod ist immer schöner und sinnvoller als ein zufälliger Tod. Du zum Beispiel wirst durch die Hand der Frau sterben, die du angeblich liebst. Und sie wird dich aus Liebe töten. Ist das nicht wunderschön?«
»Du machst dich über mich lustig.« Jason stellte sich vor sie und griff nach ihrem Kinn, um sie zu zwingen, ihm in die Augen zu sehen. »Wie kannst du so herzlos sein? Wenn ich bloß daran denke, dass ich alles für dich getan hätte! Wenn ich daran denke, dass ich dich geliebt habe!«
Die Heftigkeit, mit der Alice seine Hand wegstieß, überraschte ihn.
»Jetzt reicht’s
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