Verdammt wenig Leben
unaufhörlich plappernd um ihn herum, offenbar angesteckt von der Aufregung ihres Herrn. Sie hatten gemeinsam entschieden, aus dem übrig gebliebenen weißen Reis vom Vorabend Sushi zu machen.
»Alice liebt mein Sushi«, erklärte die kleine Gelenkpuppe feierlich und landete mit ihren zarten Metallbeinchen auf der Arbeitsfläche aus Marmor. »Das hat sie mir irgendwann mal gesagt.«
»Das hat Alice dir gesagt?« Jason hob den Blick von der Schüssel, in der er gerade die getrockneten Algen eingeweicht hatte. »Das stand bestimmt in ihrem Skript.«
»Nein«, widersprach Tinkerbell gekränkt. »Das hat sie mir gesagt, weil sie es wirklich lecker findet. Alice war immer reizend zu mir. Soll ich versuchen, fürs Abendessen diese Bitterschokolade zu bekommen, die sie so mag?«
»Unbedingt«, antwortete Jason zerstreut. »Ich glaube allerdings nicht, dass das Abendessen ausgestrahlt wird, es kann also sein, dass sie nicht bleiben will.«
Tinkerbell stieß einen enttäuschten Seufzer aus.
»Ich besorge die Schokolade trotzdem«, sagte sie resigniert.
Während Jason wartete, dass die Algen weich wurden, sah er aus den Augenwinkeln zu seinem Handy, das die Form eines vierblättrigen Kleeblatts hatte und auf dem gläsernen Küchentisch lag. Es war fast zwei Stunden her, dass er mit Paul gesprochen hatte, und Minerva hatte ihm sein Skript immer noch nicht geschickt. Das war nicht normal. Sie wusste genau, dass er nervös wurde, wenn er zu wenig Zeit zum Einstudieren seiner Rolle hatte, und achtete immer darauf, dass er das Storyboard früh genug bekam. Warum musste sie ihn ausgerechnet an einem so entscheidenden Tag hängen lassen? Er wollte nicht einmal daran denken, dass er sein Wiedersehen mit Alice vielleicht improvisieren musste. Darin war er gut, das hatte er bereits mehrmals bewiesen. Aber das hieß nicht, dass er es gern tat. Schließlich gab es nicht umsonst Drehbuchautoren. Improvisation bedeutete Unvollkommenheit, und er hasste Unvollkommenheit. Er wollte, dass seine Arbeit perfekt war, und erst recht, wenn Alice an dieser Arbeit beteiligt war. Ihr gegenüber konnte er sich keinen Fehler leisten. Er musste sie beeindrucken, ihr begreiflich machen, was für ein Glück sie hatte, dass sie als Hauptdarstellerin für seine Serie ausgewählt worden war. Er musste erreichen, dass sie dahinschmolz, wenn er ihr mit den Fingerspitzen über die Haut strich, so, wie Clarissa dahinschmolz.
Clarissa … Als er an ihr deprimiertes, bedrücktes Gesicht bei ihrem Gespräch dachte, verspürte er so etwas wie Gewissensbisse. Dabei traf ihn gar keine Schuld. Schließlich hatte nicht er entschieden, sie zu verlassen, auch wenn er das dem Publikum so weismachen musste. Außerdem hatte Paul ihm Clarissas Ausscheiden aus der Serie nicht offiziell mitgeteilt. Das hieß, dass er sich wahrscheinlich noch eine Zeit lang mit ihr treffen musste. In der Serie seines Hauptkonkurrenten, eines blonden, Schach spielenden Sportlers namens Kevin, funktionierten Dreiecksbeziehungen sehr gut. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese Mode auch in seine Sendung eingeführt wurde. Wie immer würde er sich bemühen, sich auf die Neuerung einzustellen und eine gute Figur zu machen.
Während Tinkerbell Algen, Reis und Fisch mit äußerster Akkuratesse zu Röllchen verarbeitete, ging Jason unter die Dusche. Als Beleuchtung für die Jacuzzi-Dusche wählte er ein Blau, das in regelmäßigen Abständen ins Violett changierte. Die Wasserstrahlen trommelten von den Schultern bis zur Lendenwirbelsäule auf seinen Rücken und lösten auf seiner Haut ein angenehmes Kribbeln aus. Nach Rosmarin und Limette duftender Dampf füllte die Kabine.
Während er sich die Haare einschäumte, schloss er die Augen. Er musste sich beruhigen. Minerva hatte ihn noch nie im Stich gelassen und würde es auch diesmal nicht tun. Vielleicht kam sie mit der Arbeit einfach nicht nach. Sie hatte es sich zwar zur Regel gemacht, eine bestimmte Anzahl von Klienten nicht zu überschreiten, aber sobald diese Erfolg hatten, musste sie ihnen immer mehr Zeit widmen. Und alle ihre Klienten hatten früher oder später Erfolg, schließlich war sie eine der besten Drehbuchautorinnen der Welt.
Er versuchte sich vorzustellen (das tat er oft), wie wohl das Leben dieser Frau aussah, deren Arbeit darin bestand, das Schicksal so vieler Menschen zu entwerfen. Aber die Bilder, die ihm durch den Kopf gingen, waren wirr und widersprüchlich. Über die Drehbuchautoren waren viele Geschichten im Umlauf.
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