Verdammt wenig Leben
gelangen und seine Karriere ruinieren, weil das Publikum sich betrogen fühlte und sich von ihm abwandte.
2
Er beschloss, seinen Agenten vom Rechner im Schlafzimmer aus anzurufen. Dort waren die Vorhänge zugezogen und in dem schummrigen Licht würden die Kameras seinen gereizten Gesichtsausdruck nicht einfangen. An solche kleinen Tricks war er gewöhnt, er machte das fast automatisch. Noch etwas, das er von Minerva gelernt hatte. Er durfte niemals aus der Rolle fallen und vor allem musste er dabei auf die Feinheiten achten.
Als holografisches Interface hatte er eine schwebende Pyramide gewählt, die aus Glas zu bestehen schien. Während er Pauls Namen aussprach, drehte die Pyramide sich immer langsamer, bis sie zum Stillstand kam. Eine ihrer dreieckigen Seiten projizierte das Bild des Agenten in die Mitte des Raums.
»Jason, ich habe deinen Anruf schon erwartet«, sagte Paul zur Begrüßung mit einem fast schüchternen Lächeln.
Er fuhr sich mit den Fingern durch die blonden Haare, die an der höchsten Stelle des Kopfes allmählich schütter wurden. Vielleicht hatte er sie deswegen so lang wachsen lassen, um seine beginnende Kahlköpfigkeit zu kaschieren … Jason merkte sofort, dass sein Agent nervös war. Paul versuchte sich zu konzentrieren, aber seine blauen Äuglein konnten dem Blick seines Klienten nicht standhalten.
»Kannst du mir erklären, was los ist?«, polterte Jason und vergaß für einen Moment die Kameras. »Das darf ja wohl nicht wahr sein! Gerade hat mich Clarissa angerufen und mir gesagt, dass die heutige Sendung gecancelt ist!«
»Genau genommen ist sie nicht gecancelt«, entgegnete Paul. »Wir drehen, aber nicht mit Clarissa.«
Jason spürte, wie sich sein Magen zusammenzog.
»Wieder eine neue Frau? Hör mal, Paul, du hast mir versprochen, alles zu tun, damit es in dieser Staffel nicht so viele Änderungen gibt. Jetzt, da ich mich endlich an Clarissa gewöhnt habe, will ich nicht wieder von vorn anfangen …«
»Das musst du auch gar nicht«, fiel Paul ihm lächelnd ins Wort. »Die Frau, die ihre Stelle einnimmt, kennst du sehr gut. Ich würde sogar sagen, sie gefällt dir.«
Jason schluckte.
»Alice?«, fragte er ungläubig.
Paul nickte. Nun, da er seinem Klienten die Nachricht endlich mitgeteilt hatte, schien ihm ein Stein vom Herzen zu fallen.
»Ich weiß, du magst keine kurzfristigen Änderungen, Jason, aber ich bin sicher, das hier ist eine Ausnahme. Du mochtest Alice schon immer lieber, das kannst du ruhig zugeben. Als man sie dir weggenommen hat, hast du dich gewehrt wie ein Löwe …«
»Das ist nicht wahr«, widersprach Jason leicht errötend. »Ich habe viele Fragen gestellt, das schon, aber ich wollte nur wissen, ob sie selbst um den Wechsel gebeten hatte.«
»Ist ja auch egal. Jedenfalls ist sie jetzt wieder in deiner Sendung. Heute Abend wird euer Wiedersehen gedreht. Und zwar live, Jason. Mit fünf Werbeblöcken.«
»So viele?«, fragte er erfreut.
»Die Leute wünschen sich, dass ihr wieder zusammenkommt. Du wirst schon sehen, die Einschaltquote wird abheben. Wenn das gut läuft, würde es mich nicht wundern, wenn wir im nächsten Vertrag den Vorschuss verdoppeln könnten. Du entwickelst dich langsam zu einem Star, Jason …«
»Aber ich versteh’s einfach nicht. Eigentlich hat das Publikum doch Clarissa gewählt. Vielleicht reagiert es verstimmt, wenn man seine Meinung einfach übergeht.«
»Solche Abstimmungen täuschen manchmal. Du weißt doch, wie das ist: Die Leute verlassen sich darauf, dass Alice fest zur Sendung gehört, und wollen sich das Geld für eine Jastimme für sie sparen. Der Produzent hat eine Umfrage gestartet und offenbar würde ihre Rückkehr sehr gut aufgenommen werden. Glaub mir, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Alles wird gut gehen.«
»War das Minervas Idee?«, fragte Jason leise.
»Alles, was mit dir zu tun hat, ist Minervas Idee, Jason. Sie schreibt dein Leben, neben vielen anderen. Weißt du, was ich glaube? Sie kann es zwar nicht zeigen, aber du bist ihr besonders sympathisch, und deshalb wollte sie dir dieses Geschenk machen.«
Jason lächelte. Er war sich auch sicher, dass Minerva aufrichtig um sein Wohlergehen besorgt war. Das spürte er in jedem Absatz, den sie ihm schickte, in jeder Dialogzeile, die sie für ihn schrieb. Hinter diesen Texten steckte große Achtung und Sorgfalt. Mehr als das – da war wirkliche Liebe … Sie kannte ihn besser als jeder andere und versuchte ihm das Leben zu geben, das er sich
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