Verdeckt
Einsatzort ging es ständig bergauf und bergab. Aber mehr bergauf.
Das würde ein ziemlich harter Einsatz werden.
Dann mal los.
Auf der Karte kreuzten zwei geschlängelte blaue Linien die vorgesehene Marschroute. Brynn spürte einen Stich im Magen. Flüsse. Und sie würden von dem starken Regen, der in den letzten vierundzwanzig Stunden in Oregon gefallen war, tödlich reißend und angeschwollen sein. Brynns Blick glitt über die drei Männer. Sheriff Collins und das größte, kräftigste Mitglied des Teams, Thomas Todoroff, studierten das Höhenprofil der Route. Jim schaute nicht auf die Karte. Sein besorgter Blick ruhte auf Brynn. Er wusste, wie sehr sie Flussüberquerungen hasste. Sie deutete ein Kopfschütteln an.
»Dann wissen wir also nicht mit letzter Sicherheit, ob das Flugzeug tatsächlich abgestürzt ist? Und was den Absturzort betrifft, können wir nur raten?« Brynns hastige Fragen hinterließen Atemwolken in der frostigen Luft. Sie sollten Jim ablenken, damit er seinen bohrenden Blick endlich von ihr nahm. »Was ist mit dem Notsender? Ist der nicht zu orten?«
Collins schüttelte den Kopf. »Das Flugzeug ist gestern Abend nicht wie geplant auf dem Flugplatz von Hillsdale gelandet. Wir haben im Umkreis von zweihundert Meilen überall angerufen. Keine Landung. Und ein Notsignal hat bislang niemand aufgefangen. Zwischen dem Sender und dem Ortungsgerät dürfen allerdings keine größeren Hindernisse liegen, und Flugzeuge können wir bei diesem Mistwetter für die Suche nicht einsetzen. Es kann natürlich auch sein, dass der Sender beschädigt ist.«
»Wie bitte? Ich dachte, die Dinger wären nicht kaputt zu kriegen«, hörte Brynn sich sagen. Sie starrte den Sheriff an.
»Sie sind batteriebetrieben«, sagte er verdrießlich. »Und abschalten kann man sie auch.«
Die Teammitglieder schüttelten verständnislos die Köpfe.
»Kein Glück mit dem Radar?« fragte Jim.
Der Sheriff verzog das Gesicht. »Anscheinend werden die Kaskaden nicht lückenlos erfasst. Der Jäger hat das Flugzeug nördlich der Stelle gesehen, an der es zum letzten Mal auf dem Radar erschien. Das Tal scheint der beste Ort zu sein, um mit der Suche zu beginnen, und das Wetter wird eher schlechter. Also müssenwir den Einsatz zu Fuß durchführen.« Nach einer kurzen Pause sprach Collins weiter: »Eins noch.« Das Team sah ihn aufmerksam an. Das Unbehagen in seinem Blick ließ Brynns Anspannung wachsen.
Womit konnte er die Ausgangslage noch erschweren?
Collins rieb die Lippen aneinander.
»Was ist?«, fragte Jim scharf. »Was gibt es denn noch?«
»Heute Morgen kam ein Anruf von den US-Marshals. Sieht aus, als handelt es sich bei dem Flug um einen ihrer Transporte.«
Ein Transport? Ein Flugzeug voller Straftäter?
»Ich dachte, die fliegen größere Kisten. Sagtest du nicht, wir suchen eine kleine Maschine?« Brynns Magen zog sich zusammen.
Collins schüttelte den Kopf. »Das Flugzeug war gechartert. Es sollte nur einen einzigen Häftling zurück nach Portland bringen. Außer ihm waren zwei Piloten und ein Marshal an Bord.«
Brynns Magen entknotete sich ein klein wenig.
Nur ein Straftäter.
»Und was ist das für ein Kerl? Was hat er angestellt?« Thomas stellte die Frage, die allen auf der Zunge lag. Der dunkle Mann machte selten den Mund auf. Und wenn, dann kam er ohne Umschweife zur Sache. Dieser Riesenkerl aus Alaska war mit Worten sparsamer als mit Tausenddollarscheinen.
»Der Marshal hat ihn als ›extrem gefährlich‹ bezeichnet.« Collins richtete die braunen Augen auf Brynn. »Viel mehr war nicht aus ihm herauszubekommen, aber ich hatte das Gefühl, dass ihm der Gedanke, der Kerl könnte frei irgendwo herumlaufen, überhaupt nicht behagt. Selbst wenn es nur hier in der eisigen Wildnis ist.«
Brynn hielt dem Blick des Sheriffs stand. Am liebsten hätte er sie im Basislager behalten, wagte es aber nicht, das laut auszusprechen. Alle im Team glaubten immer, sie beschützen zu müssen. Sie war eine Fachkraft für forensische Medizin – eine Krankenschwester mit Spezialausbildung – kein Cop. Thomas und Jim waren beide Deputys des Sheriffs von Madison County, und außer ihr trugen alle ein oder zwei Waffen bei sich. Brynns Aufgabe war es,bei Todesfällen Beweise für die Gerichtsmedizin zu sammeln und zu sichern. Dazu musste sie nicht schießen können. Im Team war sie für Verletzte, Kranke oder Tote zuständig.
Sie sah sich auf der trostlosen Lichtung um. »Wo ist Ryan? Er kommt doch mit, oder?«
Ryan
Weitere Kostenlose Bücher