Verflixtes Wolfsgeheul (Verflixte Bücher) (German Edition)
welchem der sieben Planeten ich festgehalten werde, doch ich kann mich nicht entsinnen, sie jemals aus dieser Perspektive gesehen zu haben. Oder habe ich alles vergessen? Vielleicht hätte ich meinen Vater doch öfter mal auf eine seiner langweiligen Regierungsreisen begleiten sollen?(3)
Mit jeder Minute kann ich mehr von der Umgebung erkennen. Zuerst sehe ich die schwarzen Berggipfel, von Bluteichen und Feuerdorn übersät. Die Ebene ist von Weideflächen und Waldstücken überzogen und würde ich es nicht besser wissen, hätte ich geschworen, wir wären auf der Erde. Auch der Ort, wo diese Burg steht, sieht genauso aus wie ein Dorf in Deutschland. Die Dächer sind aus Ziegeln und die Wände aus Stein. Nirgendwo ist der Fortschritt zu sehen, so, wie ich es auf Labaido gewohnt bin. Ich bin wirklich geschockt. Hat man mich vielleicht zurück zur Erde gebracht?!(4)
Es klopft an der Tür.
Ich fahre herum. Mein Herz schlägt rasend schnell und ehe ich „Herein!“ rufen kann, geht die Tür auch schon vorsichtig auf. Ein Kopf lugt zögernd durch den Spalt, ich sehe dunkle Haare und zwei leuchtende Augen. Dann grinsen zwei Zahnreihen.
„Wusste ich’s doch!“, sagen die Zahnreihen und grinsen noch breiter. „Du bist auf! Wird aber auch Zeit.“
Jemand betritt mein Zimmer. Ich sehe nur einen dunklen Schatten und weiche zum Tisch zurück, auf dem die Reste meiner Mahlzeit liegen.
„Und gegessen hast du auch schon. Prima, dann kann ich dich gleich entführen!“
Es ist ein Junge. Und ob du’s glaubst oder nicht, ich kenne die Stimme.
„Was heißt, es wird aber auch Zeit ?“, knurre ich. „Ich will nicht wieder entführt werden!“
Der Junge lacht. Auch dieses Lachen habe ich schon einmal gehört, aber ich weiß nicht, wann.
„Es ist nicht weit. Ich möchte dir nur den Sonnenaufgang zeigen. Den darfst du dir nicht entgehen lassen! Ist total cool, wenn die Sonne gerade über den Baumwipfeln aufgeht, das musst du dir echt ansehen!“
Ich rühre mich nicht von der Stelle.
„Hab keine Angst, ich tu’ dir nichts, Nadine“, sagt der Junge.(5) „Oder soll ich Nar’dhina sagen? Was ist dir lieber?“
Ich überlege nicht lange. „Nadine. Aber – ich kann doch hier nicht so einfach raus?“
„Warum nicht? Die Tür ist nicht verschlossen.“
Tatsächlich, ich habe nicht gehört, dass er sie erst entriegeln musste.
„Aber ich würde dir raten, nur in Begleitung eines Einheimischen zu gehen. Zumindest die ersten Wochen. Bei mir bist du also sicher.“
Er nimmt mich einfach bei der Hand und zieht mich aus dem Zimmer. Ich lasse es geschehen, weil ich so überrascht bin.
„Wir müssen uns beeilen, es ist nur ein kurzer Moment!“
Als der Junge noch mehr zerrt, entschließe ich mich, mit ihm zu laufen. Warum auch nicht? Ein Sonnenaufgang kann ja nicht gleich die Hölle bedeuten …
Es ist überhaupt nicht die Hölle, sondern der eindrucksvollste Augenblick, den ich je erlebt habe. Die Sonne schiebt sich zwischen zwei Berggipfeln hindurch, das Licht wird an den scharfen Felsen gebrochen und unendlich viele Strahlen bahnen sich ihren Weg ins Tal. Sie bleiben immerzu in Bewegung, tauchen die Wiesen in goldenes Licht und geben den Bluteichenkronen eine Haube aus Glanz und Flimmer. Mit jeder Sekunde sehe ich mehr von diesem Tal und überzeuge mich, dass es so einen herrlichen Fleck nirgendwo anders mehr geben kann.
„Wunderschön, nicht?“, fragt der Junge leise. Er steht hinter mir, an die Mauer des Durchgangs gelehnt, durch den wir heraufgestiegen sind. Wir stehen auf einem der acht Türme dieser Burg, in die man mich verschleppt hat. Aber bin ich wirklich eine Gefangene?
Ich drehe mich zu ihm um.
„Benni!“, rufe ich überrascht aus. Jetzt erkenne ich ihn, jetzt, da die Sonne sein Gesicht rot färbt und sich in seinen Augen die Berggipfel spiegeln! Kein Zweifel, er ist einmal mein Klassenkamerad in einem verschlafenen Nest in Florida gewesen!
„Lange nicht gesehen“, grinst er. „Benni – oder Benar, Nuha’benar, ganz wie du willst. Ich höre auf alles.“
Ich muss wohl mehr als blöd dagestanden haben, denn plötzlich packt er mich an den Schultern und dreht mich um. „Jetzt verpasst du auch noch den schönsten Moment! Sieh dort, das ist der Augenblick, den ich liebe!“
Die Sonnenstrahlen haben sich inzwischen über das gesamte Tal getastet, aber als sie auf der Wasseroberfläche eines Sees schimmern, wird ihr Licht in alle Richtungen geworfen. Die Feuerdornsträucher und
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