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Verflucht himmlisch

Verflucht himmlisch

Titel: Verflucht himmlisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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fragte, warum ich so beknackte Eltern haben musste. Mein Papa war schon über fünfzig, hatte kaum mehr Haare auf dem Kopf und ging mit Krawatte um den Hals ins Bett, damit er jederzeit seinen Slogan wahr machen konnte: »Wir helfen Ihnen immer.« Wenn Heribert Morgenroth »immer« sagte, meinte er »immer«. Deshalb: Krawatte und gebügeltes Hemd, damit er innerhalb von drei Minuten aussah, wie ein Bestatter seiner Meinung nach aussehen musste. Denn oft würden seine Kunden in der Nacht geholt, betonte er. Geholt. Er sagte nicht »sterben«. Nein, er sagte »geholt«. Er war sich sicher, dass sie geholt wurden. Er meinte, nach einigen Stunden würden sie plötzlich so glücklich aussehen und etwas würde sich verändern in seinem Kellerraum. Dann sei derjenige, der sie geholt habe, zusammen mit ihrer Seele verschwunden. Puh, Papa war wirklich beknackt.
    Aber Mama schien mir noch viel beknackter zu sein. Sie war zehn Jahre jünger als Papa und hatte früher als Diskuswerferin Medaillen gesammelt wie andere Pokemon-Karten. Sogar bei den Olympischen Spielen. Aber mit dem Diskuswerfen wurde man weder berühmt noch reich und deshalb kannte sie heute niemand mehr. Sie hatte breitere Schultern als Papa (was kein Kunststück war, aber lustig aussah, wenn die beiden Silvester miteinander tanzten) und gab jeden Tag irgendwelchen ehrgeizigen Mädchen Turnunterricht. Ich hatte auch mal zu diesen Mädchen gehört, aber Mama war eine schreckliche Trainerin und ich nicht ehrgeizig genug. Sie brach manchmal in Tränen aus, wenn man es nicht so machte, wie sie sich das vorstellte. Das war mir echt peinlich gewesen. Es war peinlich, wenn da eine Frau in der Halle stand, die Schultern wie ein Mann hatte und früher Metallscheiben durch die Gegend geschleudert hatte, und bitterlich weinte.
    Mama war außerdem rosasüchtig. Sie zog sich fast nur rosa an und ersetzte ihr Rosa höchstens zwischendurch mal mit Pink. Oder einem blassen Lila. Aber meistens war sie rosa. Sie sagte, das sei ein schöner Kontrast zu der schwarz-grauen Welt von Papa. Es würde Licht in die Finsternis bringen.
    Mich hätte sie auch gerne rosa. Wenn sich die Gelegenheit bot, versuchte sie, in meinem Zimmer etwas rosa zu machen. Ich hasste das. Mama durfte rosa sein, von mir aus. Sie hieß schließlich Rosa. Und Rosa stand ihr gut, das musste ich zugeben. Wenn Mama etwas Dunkles trug, konnte man Angst vor ihr bekommen. Rosa war schon in Ordnung. Aber deshalb musste ich doch nicht auch Rosa tragen! Rosa zu dunkelroten Haaren – das sah grausam aus. Wie ein missratenes Waldbeerendessert. Zu meinen Haaren passte nur Grau und Schwarz und Blau. Und auf keinen Fall wollte ich ein rosafarbenes Zimmer haben.
    Mama behauptete gern, sie habe Papa nur wegen seines Namens geheiratet. Rosa Morgenroth. Das sei ein Name wie aus einem Roman. Und vor allem klinge er nicht nach Diskuswerfen.
    Sie hatte wahrhaftig einen gehörigen Knall.
    Aber ich war zu müde und zu verschnupft, um mit Mama zu streiten. Dann würde ich heute Nacht eben in Rosa schlafen. Wenn es dunkel war, sah ich es ja zum Glück nicht.
    Ich packte meine Schultasche, ging ins Bad, duschte, putzte mir die Zähne und wartete, bis Mama nach unten zu Papa in den Keller gegangen war. Sie versuchte bestimmt wieder, Papa zu überreden, dass sie die Omi schminken durfte. Mama schminkte furchtbar gerne andere Menschen und vor allem tote Menschen, obwohl sie keine Ahnung davon hatte. Deshalb bekamen sie oft Streit. Papa verstand unter dem Herrichten von Leichen etwas völlig anderes als Mama.
    Jetzt war es endlich still. Ich schlüpfte aus meinen Hausschuhen und lupfte meinen Pyjama ein Stückchen, damit ich mich nicht in den zu langen Hosenbeinen verheddern konnte. Wie sagte Guiseppe immer? »Vorbereitung ist alles.« Ich streckte mich, nieste noch einmal und jagte los. Es war ein kurzer Run. Der kürzeste überhaupt. Der Zu-Bett-geh-Run. Ich machte ihn jeden Abend.
    Mit den Zehenspitzen den Lichtschalter austreten, in zwei Sätzen aufs Fensterbrett springen, Vorhang zuziehen, Rolle vorwärts auf die Matratze. Der Lattenrost krachte und ich sackte ein Stück tiefer. Mist. Ich brauchte dringend ein neues Bett. Doch ich konnte mich nicht dazu aufraffen aufzustehen, die Matratze hochzuhieven und die herausgesprungene Latte zurück in ihre Verankerung zu schieben. Mir taten auf einmal sämtliche Knochen weh. Schlucken konnte ich auch kaum mehr. Mein Hals fühlte sich dick und geschwollen an.
    Aber ich durfte morgen nicht

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