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Verflucht himmlisch

Verflucht himmlisch

Titel: Verflucht himmlisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ich ihn zu überreden.
    »Jaaa«, antwortete Guiseppe gedehnt. »Aber ich will mal was richtig Krasses.«
    »Ich hab dir Bescheid gesagt, als wir vor zwei Wochen den Autounfall unten liegen hatten. Aber da …«
    »Ich musste Pizzakartons falten«, unterbrach Guiseppe mich. »Weißt du doch.«
    Tja, seltsam. Als ich Billy und Serdan zu den Omis und Opis in den Keller geschleust hatte, musste Seppo auch Pizzakartons falten. Ganz plötzlich.
    Den Autounfall hätte ich mir nur mit Guiseppe angeschaut. Aber niemals allein oder mit den anderen. Billy hätte nur rumgelacht und blöde Witze gerissen und Serdan hätte gar nichts gesagt. Serdan sagte nie etwas und es störte mich nicht, aber Angesicht in Angesicht mit einem zerfetzten Toten hätte mich sein Schweigen nervös gemacht. Vor dem Autounfalltoten hatte sogar ich mich gefürchtet. Aber meistens bekam Papa steinalte Omis und Opis angeliefert, die friedlich im Bett eingeschlafen waren. Ich wusste nicht, wie er das anstellte. Vielleicht verheimlichte er die anderen Toten vor mir. Jedenfalls ließ Guiseppe sich nicht locken mit der frischen Omi und wir waren schon in unsere Straße eingebogen.
    »Morgen mache ich es«, sagte ich spontan. »Morgen.«
    »Was?« Seppo kratzte sich fragend in seinen dunklen Haaren. Ich musste zu ihm hochschauen, um in seine Augen zu sehen. Hoffentlich würde ich bald ein bisschen wachsen.
    »Meinen Herbstrun.«
    »Das tust du nicht.« Seppo schüttelte ungläubig den Kopf. »Nee, Katz, das machst du nicht.«
    »Mach ich wohl. Es ist Herbst, oder?«, entgegnete ich und zeigte auf die Bäume am Straßenrand. Sie hatten fast alle Blätter verloren. Mehr Herbst ging nicht. Mehr Herbst war Winter. Und ich machte in jeder Jahreszeit einen neuen Luzie-Run. Das hatte ich mir fest vorgenommen. Mein Frühjahrsrun hatte in der Notaufnahme geendet. Eigentlich lief er ganz ordentlich, bis zu dem Moment, als ich in einer engen Gasse vom einen Fensterbrett auf das vom Haus gegenüber springen wollte. Der Sprung war okay. Die Landung aber wurde eine Katastrophe. Ergebnis dieser Katastrophe: zwei Platzwunden, die genäht werden mussten, Prellungen, gebrochener Ringfinger. Mama und Papa hatte ich erzählt, ich sei über einen Hydranten gestolpert.
    Der Sommerrun war genial. Ich hatte drei Bäume eingebaut. Meine zweite Spezialität. Auch deshalb nannten sie mich Katz. Ich bewegte mich durchs Dickicht wie ein Panther. Das Problem war nur, dass der Ast der Pappel brüchig war und mir Schwung nahm, als er abknickte. Ich prallte mit beiden Schienbeinen auf die Lehne der Parkbank, anstatt mit den Sohlen aufzusetzen. Da hab ich fast geheult. Immerhin waren meine Schienbeine nicht gebrochen. Und nur weil ich mich in letzter Sekunde gedreht hatte – warum, wusste ich nicht –, bin ich nicht mit dem Kreuz auf die Lehne geknallt. Das hätte böse ausgehen können. Richtig böse. Ist es aber nicht.
    Eigentlich hatte ich jedes Mal Glück gehabt – oder eben Glück im Unglück. Und deshalb, beschloss ich, würde ich morgen meinen ultimativen Herbstrun machen.
    »Hey, Katz, du bist echt nicht schlecht, aber …« Guiseppe sah mich zweifelnd an. »Lass das lieber.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin so weit. Sicher. Morgen nach der zweiten Pause. Vom Fenster auf die Pausenüberdachung, dann auf die Laterne, Baugerüst, runter, Papierkörbe, Turnhallengeländer.«
    »Oh Gott, Luzie – die Lampe, nee, mach das nicht!«
    Ich hatte mir die Lampe genau angesehen. Da war Platz für meine Füße. Nicht viel, aber genügend. Ich hatte kleine Füße. Und wenn es nicht regnete, würde sie nicht rutschig sein. Vielleicht würde sie ein bisschen schwanken, aber wie gesagt: Balancieren, das konnte ich.
    »Morgen nach der zweiten Pause«, wiederholte ich stur. Wir waren bei der Pizzeria von Guiseppes Eltern angekommen. Schräg gegenüber wohnten wir, in einem schmalen, dunklen Haus mit hohen Decken. Altbau. Im Keller lagen Papas Kunden, im Erdgeschoss hatte er seine Ausstellungs- und Geschäftsräume eingerichtet und obendrüber befand sich unsere Wohnung. Der Dachboden erstickte in altem Gerümpel und musste seit Jahren dringend aufgeräumt werden. Aber dafür hatten Mama und Papa nie Zeit. Von meinem Zimmer aus konnte ich auf Seppos Haus gucken. Es war niedriger als unseres und sah freundlicher aus, aber drum herum roch es fast immer nach Knoblauch. Und leider, leider ging Guiseppes Zimmer zum Hof hinaus, sonst hätte ich ihn ein wenig bespitzeln können. Ich konnte aber

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