Verführer oder Gentleman? (German Edition)
trat, fiel ihr seine dominante Haltung auf. Damit unterschied er sich von dem entspannten Mann, den sie am Abend ihrer Ankunft im Salon und drei Tage später auf der Terrasse beobachtet hatte.
Er neigte sich vor und überflog die Notizen, die sie sich gemacht hatte. „Wie ich sehe, haben Sie Ihre Studien schon begonnen.“ Sein Blick streifte den Federkiel im Tintenfass, die Tintenflecken auf Juliets Fingern.
„Oh, ich versuche mich nur mit der Arbeit vertraut zu machen, die mich hier erwartet, und schreibe ein paar Gedanken auf.“
Der Duke nickte, offenbar nicht sonderlich beeindruckt von ihrer Erklärung, und richtete seinen beklemmenden Blick wieder auf ihr Gesicht. Dann wechselte er das Thema. „Ich muss mich für das Benehmen meiner Freunde am Abend Ihrer Ankunft entschuldigen, Miss Lockwood. Leider sind sie außer Kontrolle geraten.“
„Weil Sie nicht für Ihre Freunde verantwortlich sind, ist diese Entschuldigung überflüssig, Lord Lansdowne. Wenn die jungen Männer es vorziehen, sich so zu verhalten, ist das ihre Sache.“
„In der Tat, aber ihre Manieren waren schauderhaft.“
„Da stimme ich Ihnen zu. Sicher sind sie alle ehrenwerte Gentlemen – wenn sie sich nicht betrunken haben. Allerdings würden echte Gentlemen niemals wehrlose Frauen verhöhnen.“
Lächelnd zog Dominic eine dunkle Braue hoch. „Ich glaube, Sie können sich sehr gut verteidigen, Miss Lockwood.“
Die Stirn gerunzelt, reckte sie ihr Kinn vor. „Lord Lansdowne …“
„Ja?“
„Bevor ich für Sie zu arbeiten beginne, möchte ich etwas klarstellen.“
„Ach, wirklich? Und das wäre?“
„Ich kam nicht hierher, damit Ihre Freunde sich auf meine Kosten amüsieren, sondern um die Pflichten zu erfüllen, für die ich bezahlt werde.“
„Wie ich sehe, nehmen Sie kein Blatt vor den Mund.“
„Das ist nun einmal meine Art. Nichts für ungut, aber ich finde, wir beide sollten wissen, wo wir stehen. Meinen Sie nicht auch?“
„Oh, gewiss.“ Seine Lippen zuckten. „In Zukunft werde ich meine Freunde im Zaum halten, wenn Sie in der Nähe sind.“
„Vielen Dank, das wüsste ich zu schätzen.“
Seine grauen Augen hielten ihren Blick unwiderstehlich fest. „Sie sind sehr selbstbewusst, Miss Lockwood.“
„Unabhängig. Ich sorge selbst für meinen Lebensunterhalt. Und das finde ich sehr angenehm.“
Da er jetzt etwas näher vor ihr stand, fiel ihm ihre Augenfarbe auf, ein warmes Braun mit goldenen Pünktchen. Ihr heller, makelloser Teint glich feinem Porzellan, die vollen Lippen schimmerten rosig. Obwohl ihr dunkles Haar zu einem strengen, unkleidsamen Knoten geschlungen war, bemerkte er den seidigen Glanz, die kastanien- und kupferroten Nuancen.
Seine Miene drückte Staunen und Bewunderung aus. Das las Juliet vor allem in seinem Blick unter halb gesenkten Wimpern, in den hochgezogenen Mundwinkeln.
So angestarrt zu werden – das missfiel ihr gründlich. Als wäre sie eine Stute, die sein Interesse geweckt hatte … Sie zeigte ihren Unmut nicht. Doch sie würde sich in Acht nehmen und stets an die Warnung ihres Bruders Robby denken. Jetzt stellte sie mit eigenen Augen fest, wie gut der Duke aussah, und sie spürte seine gefährliche Anziehungskraft. Wegen seines Reichtums und seines Adelstitels wirkte er umso begehrenswerter.
Zudem hörte sie immer wieder die Geschichten von Dienstbotinnen in gewissen Herrschaftshäusern. Hastig mussten sie ihre Sachen packen, nachdem sie in andere Umstände geraten waren. Oft genug erregten sie die Aufmerksamkeit ihres Arbeitgebers oder seiner Söhne, die glaubten, sie könnten sich nach Belieben mit den jungen Mädchen vergnügen. So etwas gehörte einfach zum Lebensstil dieser Gentlemen. Ob das auch für Dominic Lansdowne, Duke of Hawksfield, galt, wusste sie nicht. Jedenfalls würde sie ihre Arbeit erledigen und ihm tunlichst aus dem Weg gehen.
„Zählen Sie vielleicht zu diesen engagierten Damen, die sich für die Gleichberechtigung der Frauen einsetzen?“
„Da ich eine Frau bin, würde ich solche Bestrebungen sehr gern unterstützen. Aber ich habe mich keiner dieser Gruppen angeschlossen. Sicher werden die Männer noch viele Jahre lang das Regiment führen. Ich glaube jedoch, eines Tages werden die Frauen alle Hindernisse überwinden und die gleichen Freiheiten genießen wie das starke Geschlecht.“
Nun erwachte Dominics Neugier. „Wo wohnen Sie, Miss Lockwood? Wo lebt Ihre Familie?“
„Ich wohne dort, wo ich arbeite.“
„Haben Sie
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