Verführer oder Gentleman? (German Edition)
er sich auf und betrachtete sie ausdruckslos. „Nun, das werden wir noch sehen, Miss Lockwood. Ich hoffe, Ihr Zimmer ist komfortabel genug? Haben die Dienstboten Ihnen geholfen, sich häuslich einzurichten?“
„Ja, danke. Allerdings fürchte ich, die Leute wissen nicht so recht, was Sie von mir halten sollen.“
„Oh? Warum vermuten Sie das?“
„Weil ich weder nach oben noch nach unten gehöre.“
„Und wohin gehören Sie, Miss Lockwood?“
„In eine Region, die irgendwo dazwischen liegt.“
„Da meine ‚erlauchte Position‘ Sie von mir trennt und die Dienerschaft genauso wenig zu Ihrer Kategorie passt, müssen Sie eben Ihre Stellung behaupten, wie es Ihnen richtig erscheint. Damit meine ich nicht nur Ihre Arbeit in der Bibliothek.“ Dominic schaute zum Fenster. Plötzlich runzelte er die Stirn, und Juliet folgte seinem Blick.
„Sie bekommen Besuch.“
„Mhm“, murmelte er nachdenklich, „meine Schwester Cordelia. Zweifellos will sie mich wieder einmal auffordern, endlich zu heiraten.“
In der Eingangshalle erklangen Schritte. Wenige Sekunden später öffnete sich die Tür der Bibliothek, und eine elegant gekleidete Dame rauschte herein.
Cordelia, eine energische, sachlich veranlagte Frau, war so groß wie ihr Bruder, Ende dreißig, sehr schlank und eine geübte Reiterin. Dieser Fähigkeit verdankte sie ihre aufrechte Haltung. Obwohl graue Strähnen ihr hellbraunes Haar durchzogen, besaß sie immer noch ein jugendliches Gesicht mit ausgeprägten Wangenknochen und einer markanten Nase. Um ihren makellosen rosigen Teint mochten manche Mädchen sie beneiden.
„Guten Morgen, Dominic“, grüßte sie kühl und bot dem Duke ihre Wange, die er pflichtschuldig küsste.
„Guten Morgen, Cordelia.“
„Hast du die Jagd gestern genossen?“
„Wie immer, Cordelia“, entgegnete er trocken.
„Sicher hast du die ganze Nacht mit deinen Freunden verbracht und dich sinnlos betrunken“, tadelte sie und zog ihre Handschuhe aus. „Auf dem Weg hierher besuchte ich Maria Howard. Ihr geliebter Thomas sah grauenhaft aus. Verhärmt, mit trüben Augen, eindeutig verkatert. Geraldine lag noch im Bett, und ich wette, sie hat sich wieder einmal unmöglich benommen und zusammen mit dem jungen Sedgwick für eine peinliche Blamage gesorgt. Thomas und Geraldine sind beide furchtbar verwöhnt und völlig verantwortungslos. Alle paar Tage flirten sie mit neuen Leuten. Außerdem trinken sie zu viel. Keine Selbstdisziplin! Und du solltest sie zu diesen Ausschweifungen nicht auch noch ermutigen, Dominic.“
Erstaunt und sichtlich gekränkt hob er die Brauen. „Was … ich?“
„Ja, du! Weil sie immer bei dir aufkreuzen, wenn sie sich schlecht benehmen wollen. Warum Geraldines Vater nicht endlich zu einer Rute greift und ihr den Hintern versohlt, werde ich nie begreifen. Oder vielleicht doch – wahrscheinlich hofft er, der junge Sedgwick wird um sie anhalten …“
Erst jetzt entdeckte sie Juliet, die aufgestanden war und geduldig neben dem Tisch wartete.
„Oh, verzeih mir, ich wusste nicht, dass du Besuch hast! Und wer bitte ist diese junge Dame?“
„Cordelia, darf ich dir Miss Lockwood vorstellen? Miss Lockwood, das ist meine Schwester, Lady Cordelia Pemberton. Wenn ich mich nicht täusche, Cordelia, habe ich dir erzählt, ich würde jemanden einstellen, der die Bibliothek katalogisiert“, fügte er etwas ärgerlich hinzu, weil sie das vergessen hatte.
„Wirklich? Daran erinnere ich mich nicht. Gewiss, deine Büchersammlung muss auf den neuesten Stand gebracht werden. Aber es überrascht mich, dass du eine Frau dafür engagiert hast. Und – ist sie nicht ein bisschen zu jung?“
„Miss Lockwood mag jung sein, Cordelia. Trotzdem besitzt sie die erforderliche Qualifikation und ausgezeichnete Referenzen.“
„Das ist sicher vorteilhaft. Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Lockwood. Hoffentlich werden Sie es nicht unangenehm finden, diese staubigen alten Wälzer zu katalogisieren.“
„Keineswegs, Lady Pemberton. Darauf freue ich mich sogar.“
„Tatsächlich? Nun, es gibt solche Leute und solche … Offenbar gleichen Sie meinem Bruder, dem seine Bibliothek sehr viel bedeutet. Also, mich würde diese Arbeit langweilen. Aber mein verstorbener Gemahl war ein eifriger Historiker, und er kam oft hierher, um in einschlägigen Werken zu schmökern.“
Wie konnte man sich inmitten so vieler wundervoller Bücher langweilen? Das verstand Juliet nicht.
„Lassen Sie sich von meinem Bruder nicht zu hart
Weitere Kostenlose Bücher