Verführer oder Gentleman? (German Edition)
ihn?“
„Nicht persönlich. Ich habe von ihm gehört. Während des Krieges hat er in Spanien gekämpft.“ Voller Angst um seine Schwester runzelte Robby die Stirn. „Ein attraktiver Lebemann. Anmaßend und arrogant, ein Verführer unschuldiger junger Damen. Ständig wird über ihn getratscht. Aber er lässt sich nur selten blicken. Falls die Klatschgeschichten stimmen, suchen der Duke of Hawksfield und seine Freunde unentwegt amouröse Abenteuer, wenn sie ihre Zeit in der Hauptstadt verbringen. Und wenn er sich nicht in den Londoner Spielsalons herumtreibt, hält er auf dem Land nach willfährigen Mädchen Ausschau, um seinen Appetit zu stillen.“
Erschrocken über diese wenig schmeichelhafte Beschreibung des Dukes, errötete Juliet. „O Gott, du rückst meinen künftigen Arbeitgeber in ein sehr schlechtes Licht.“
„Mit gutem Grund. Bist du ihm schon begegnet?“
„Nein, Sir Johns Empfehlung und mein Bewerbungsschreiben bewogen ihn, mich zu engagieren, ohne vorher mit mir zu sprechen. So ruchlos, wie du ihn darstellst, kann er nicht sein.“
„Tut mir leid, Juliet, genau so ist er. Du bedeutest mir sehr viel. Natürlich sorge ich mich um dich. Ich weiß, du kannst auf dich selber aufpassen. Aber einem Mann wie Dominic Lansdowne bist du nicht gewachsen. Zahllose Damen vergöttern ihn und finden ihn unwiderstehlich. Sei vorsichtig. Ganz sicher wird er dich nicht zu seiner Duchess machen.“
„Ich will auch gar keine Duchess sein, Robby, und ich möchte nur genug Geld verdienen, um dein Leben in diesem Gefängnis etwas angenehmer zu gestalten. Ein paar Monate musst du noch durchhalten.“
Dann verabschiedete sie sich von ihrem Halbbruder und überließ ihn seinen düsteren Gedanken.
Während Juliet die Stadt Brentwood in Essex hinter sich ließ, die sie vor ein paar Stunden mit der Postkutsche erreicht hatte, frischte der Wind auf und peitschte ihr Regentropfen ins Gesicht. Weil ihre Barschaft nur einen ungeschützten, leichten Wagen und keine geschlossene Kutsche gestattete, waren nach wenigen Minuten ihr Hut, ihr Umhang und das Kleid darunter durchnässt, und feuchte Haarsträhnen hingen ihr ins Gesicht.
Mr Carter, auf dessen Einspänner sie saß, hielt ihr eine Decke hin. „Tut mir leid wegen des Wetters, Miss. Aber keine Bange, bald sind Sie in Lansdowne House.“
„Das hoffe ich inständig, Mr Carter. Sonst wage ich mir gar nicht vorzustellen, wie ich bei meiner Ankunft aussehen werde. Oh, ich wünschte, ich wäre noch vor dem Einbruch der Dunkelheit an meinem Ziel.“
Dankbar nahm sie die Decke entgegen, legte sie um ihre Schultern und zog im strömenden Regen den Kopf ein. So gut es ging, versuchte sie, das Wasser in ihrem Kragen zu ignorieren, und konzentrierte sich auf ihre Umgebung.
Endlich erblickte sie ein hoch aufragendes Gebäude und seufzte erleichtert. Nachdem sie ein schmiedeeisernes Tor passiert hatten, folgten sie einer gewundenen Zufahrt zu einem Haus, das so stattlich und imposant wirkte, wie man sich die Residenz eines Herzogs vorstellte. Vor der dreistöckigen Fassade mit den bleiverglasten Fenstern prangte ein Säulenvorbau aus weißem Marmor.
Mr Carter hielt vor dem Eingang, sprang auf den Boden und half seinem Fahrgast, vom Wagensitz hinabzusteigen.
Ihr Umhang blieb an einem Nagel an der Seite des Einspänners hängen. Ärgerlich zerrte Juliet an dem Stoff und stieß einen leisen Schreckensschrei aus, als sie hörte, wie er zerriss. Vorerst konnte sie nichts gegen dieses Missgeschick unternehmen.
Resignierend ließ sie sich zur Haustür führen und dankte Mr Carter, der ihren Koffer unter dem Säulendach abstellte. „Am besten kehren Sie sofort um“, riet sie ihm. „Bald wird es dunkel. Und Sie haben eine lange Heimfahrt vor sich. Jetzt finde ich mich allein zurecht.“ Mr Carter nickte und wandte sich zum Gehen.
Bevor Juliet sich zur Tür wandte, schaute sie dem Einspänner nach. Diesem Moment hatte sie tagelang entgegengefiebert, und nun empfand sie ein seltsames Widerstreben, die Schwelle von Lansdowne House zu überqueren. Teils nervös, teils erwartungsvoll betätigte sie den Türklopfer aus Messing, der eine Löwenpfote darstellte.
In der Eingangshalle rührte sich nichts. Erstaunlich für ein so grandioses Herrschaftshaus, dachte Juliet. Sie ließ den Türklopfer ein zweites Mal gegen das Holz fallen. Noch immer erhielt sie keine Antwort.
Schließlich drückte sie auf die Klinke. Die Tür schwang lautlos auf. Nach einem tiefen Atemzug bezwang sie
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