Verführerisches Feuer
ablehnte, aber sie hatte sich nicht umstimmen lassen.
Und so war sie in ihrer eigenen Wohnung geblieben und hatte Ollie in einer Londoner Entbindungsklinik zur Welt gebracht, die einen hervorragenden Ruf hatte.
Nur dass sie Colin trotzdem nicht losgeworden war. Anfangs schien es zwar, als würde er es letzten Endes akzeptieren, dass sie ihr Kind behielt, doch als Antonio Leopardi sich geweigert hatte, wenigstens finanziell die Verantwortung zu übernehmen, hatte er seine Meinung wieder geändert.
Irgendwann war Annie halb wahnsinnig gewesen vor Angst, Colin könnte es doch noch gelingen, sie von ihrem kleinen Sohn zu trennen. Und dann war Colin nach Schottland gefahren, um nach dem Tod eines älteren Cousins dessen Nachlass zu ordnen. Das war ihre Chance gewesen, und Annie hatte nicht gezögert, sie zu ergreifen.
Ohne einer Menschenseele davon zu erzählen – nicht einmal Tom und Susie, die auf seine Seite zu ziehen Colin tatsächlich gelungen war –, hatte sie sich eine neue Wohnung und eine neue Arbeit gesucht und war einfach verschwunden. Wobei sie sich bei ihrer alten Hausverwaltung ausbedungen hatte, ihre Nachsendeadresse unter allen Umständen geheim zu halten. Ansonsten war es kein Problem, in einer Großstadt wie London einfach unterzutauchen.
Das war vor fünf Monaten gewesen, aber sicher fühlte sie sich trotzdem nicht – kein bisschen.
Sie hatte ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie einfach verschwunden war, ohne Tom und Susie zu informieren, aber es war wichtig, nicht das kleinste Risiko einzugehen. Das konnte sie sich schlicht nicht leisten. Die beiden kannten Colin längst nicht so gut wie sie selbst und wussten nicht, wozu er fähig war oder wie hartnäckig er sein konnte. Als sie sich jetzt daran erinnerte, wie unglücklich sie gewesen war, nachdem ihre Mutter seinen Vater geheiratet hatte, erschauerte sie wieder. Damals – mit zwölf – hatte sie ihrer Mutter zu erklären versucht, wie unbehaglich sie sich fühlte, weil Colin sie ständig anstarrte und nicht aus den Augen ließ.
Er war zu dieser Zeit neunzehn und auf der Universität gewesen, wo er die Woche über auf dem Campus gewohnt hatte. Doch nach der Heirat ihrer Eltern hatte er die Universität gewechselt und war wieder zu Hause eingezogen. Dabei hatte es ihn nicht im Geringsten gestört, dass er jeden Tag zu seiner neuen Uni fahren musste.
Irgendwann hatte Colin eine heftige Abneigung gegen ihre beste Freundin Claire entwickelt, die darin gipfelte, dass er Claire eines Tages fast überfahren hatte, als er mit dem Wagen seines Vaters zurückgestoßen war. Nach diesem Vor fall hatte ihre Mutter Annie geraten, Claire lieber nicht mehr nach Hause einzuladen.
Und jetzt stand Ollie auf seiner Liste. Annie bekam eine Gänsehaut.
Ihren leiblichen Vater hatte sie nie kennengelernt. Sie wusste nur, dass er aus einer alten Soldatenfamilie stammte und selbst Soldat gewesen war. Noch vor ihrer Geburt war er in einen Hinterhalt geraten und getötet worden. Aber Annie hatte bei ihrer Mutter nichts vermisst.
Ihr Vater hatte sie gut versorgt zurückgelassen. Seine Familie war vermögend gewesen, Geld, das ihnen nach seinem Tod zugute gekommen war, und Annies Mutter hatte Annie immer wieder versichert, dass sie eines Tages alles erben würde. Doch nun, da ihre Mutter zusammen mit ihrem zweiten Mann bei einem Unfall auf einer Safari ums Leben gekommen war, war das Haus automatisch auf Colin übergegangen. Er hatte Annie das Zuhause weggenommen, das eigentlich für sie und Oliver bestimmt war.
Instinktiv wanderte ihr besorgter Blick zu dem Bettchen, in dem ihr Sohn tief und fest schlief. Sie konnte einfach nicht anders als aufzustehen, zu ihm zu gehen und auf ihn hinunterzuschauen. Er war so süß und perfekt mit seinen seidigen dunklen Locken und den großen lang bewimperten Augen, dass ihr bei seinem Anblick vor Liebe und Glück das Herz überging.
Da das Geld, das sie mit ihrer Recherchetätigkeit verdiente, für ihren Lebensunterhalt nicht reichte, hielt sie sich zusätzlich für einige Stunden in der Woche mit einem Putzjob über Wasser. Während dieser Zeit hatte Annie Ollie in einer guten städtischen Kinderkrippe untergebracht. Die Putzstelle hatte sie allen anderen Stellenangeboten vorgezogen, weil nicht zu erwarten gewesen war, dass man ihr in diesem Umfeld allzu viele lästige Fragen stellte. Die meisten ihrer Arbeitskollegen waren hart arbeitende Ausländer, die wenig Neigung hatten, allzu viel über sich selbst zu reden. Und
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