Verfuehrt
ich ein bisschen gereizt, weil Matteo ihn trägt, anstatt das zu tun, wofür die vier runden Dinger darunter erfunden wurden, und weil es mich gegen meinen Willen beeindruckt, wie wenig ihn das Gewicht zu stören scheint – so leicht ist der Koffer nämlich nicht. Aber mich hat er ja auch schon oft getragen, ohne dass es ihm etwas ausgemacht hätte, denke ich, verbiete mir die Erinnerung an das, was danach meistens passiert ist, jedoch sofort wieder. »Und ich bringe ihn sonst auch alleine ins Haus«, füge ich ein bisschen trotzig hinzu.
»Jetzt hast du dafür ja mich«, erwidert Matteo, unbeeindruckt von meinem emanzipatorischen Anflug, und grinst so unverschämt, dass mein Magen sofort wieder auf Talfahrt geht.
Ja, denke ich mit einem inneren Seufzen. Nur für wie lange …
Ohne sein Lächeln zu erwidern, öffne ich das kleine Törchen neben dem Haupteingang, wo eine Treppe hinunter in das Souterrain führt. Meine Eltern wohnen oben im Haupthaus, doch ich bin vor ein paar Jahren in die Wohnung hier unten gezogen. So bin ich für mich und kann mich trotzdem um Mum kümmern, wenn es nötig ist.
Meine Hände zittern ein bisschen, aber ich schaffe es, die Haustür gleich beim ersten Versuch aufzuschließen. Matteo folgt mir durch den Flur und an dem Treppenaufgang vorbei, der in den Bereich meiner Eltern hinaufführt, bis zu meiner Wohnungstür, die ich zum Glück auch problemlos aufbekomme.
Im Apartment riecht es nicht abgestanden, was ich wahrscheinlich Jane, der Haushälterin meiner Eltern, zu verdanken habe. Sie wird während meiner langen Abwesenheit nach dem Rechten gesehen und die Zimmer gelüftet haben, und sie hat wahrscheinlich auch die frischen Schnittblumen in die Vase auf dem Esstisch gestellt.
Aber ansonsten ist alles noch genauso, wie ich es verlassen habe: das kleine Wohnzimmer mit der offenen Küche an einer Seite und die zwei angrenzenden Zimmer, von denen ich eins als Schlaf- und eins als Arbeitszimmer nutze. Abgesehen vom Bad, der kleinen Abstellkammer und der Terrasse im Innenhof, auf die man durch das Wohnzimmerfenster blickt und die ich für mich ganz allein habe, war es das schon – die Wohnung ist nicht groß, aber für mich bietet sie genug Platz, und ich liebe sie schon deshalb, weil sie mir ein kleines Stückchen Unabhängigkeit in meinem täglichen Spagat zwischen dem Geschäft und der Betreuung meiner Mutter bietet.
Jetzt, wo Matteo im Wohnzimmer steht und allein durch seine Größe den Raum dominiert, kommt sie mir allerdings sehr klein vor. Und so empfindet er das vermutlich auch, weil er anderes gewohnt ist – er hat in Rom eine sehr große, wunderschöne Villa mitten in der Stadt, und selbst wenn Kensington zu den teuren Vierteln von London gehört, ist das hier mit der Art, wie er lebt, nicht zu vergleichen.
Doch schlimm scheint er es nicht zu finden, im Gegenteil.
»Schön hast du es hier«, sagt er und lässt den Blick anerkennend über meine Möbel gleiten – fast alles Erbstücke aus meiner Familie, die kombiniert mit modernen Accessoires eine stylische Kombination ergeben, auf die ich ziemlich stolz bin. Dass Matteo, der aus einer der berühmtesten Designer-Familien Italiens stammt, sie ebenfalls gelungen findet, freut mich sehr.
Die Auswahl an Bildern, die an der Wand hängen, scheint ihn jedoch eher zu verwundern. Es sind fast alles Werke junger, noch unbekannter Künstler, die ich so vielversprechend fand, dass ich sie gekauft habe.
»Ich wusste gar nicht, dass du so ein Faible für moderne Kunst hast.«
»Habe ich auch gar nicht – jedenfalls nicht nur«, sage ich mit einem traurigen Lächeln, weil er den Finger gleich zielsicher in die Wunde gelegt hat. »Ich musste die älteren und wertvolleren Bilder nur alle verkaufen.«
Er runzelt die Stirn. »Warum?«
»Aus den Gründen, aus denen man sich manchmal von etwas trennen muss.« Über diesen Punkt spreche ich nicht gerne, aber ein Geheimnis ist es nicht, deshalb kann er es ruhig wissen. »Wir hatten vor einiger Zeit eine schwierige Phase, in der die Geschäfte im Auktionshaus nur schleppend liefen. Deshalb brauchten wir Geld und haben einige Bilder aus unserer privaten Sammlung versteigert.«
Das ist die Kurzversion der Krise, durch die wir vor gut einem Jahr plötzlich kurz vor der Insolvenz standen. Hätte Nigel uns damals nicht geholfen, indem er dafür gesorgt hat, dass sein Bankhaus uns zu günstigen Konditionen weitere Kredite gewährt, dann gäbe es das renommierte »Conroy’s«, das bereits in
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