Verfuehrung auf Capri
ich es dir erzählt habe, kannst du vielleicht besser verstehen, warum er vor all den Jahren die Entscheidungen getroffen hat, sich nicht zu deiner Mutter und zu dir zu bekennen. Eine Entschuldigung für sein Verhalten mag es nicht sein, aber vielleicht …“, er blickte sie an, „… eine Erklärung.“
Laura sah ihn an, ohne dass ihre ausdruckslose Miene auch nur ansatzweise verriet, was in ihr vorging. So hatte sie der Welt ihr Leben lang die Stirn geboten, mit diesem unscheinbaren Gesicht, das niemand attraktiv oder einladend fand. So hatte sie vermieden, dass sich jemand Gedanken über sie machte – darüber, warum sie keinen Vater hatte und bei den Eltern ihrer Mutter lebte.
Es ist Lauras Art, sich zu verteidigen, erkannte Alessandro plötzlich. Ihr Schutzpanzer.
„Rede weiter“, forderte Laura ihn betont gleichgültig auf, doch ihre Hände hatten sich erneut ineinander verkrampft.
„Vielleicht wird es ein Schock für dich sein“, fuhr Alessandro langsam fort und wählte seine Worte mit Bedacht, doch das würde an der Wirkung seiner Mitteilung nichts ändern. „Für mich war es das jedenfalls. Offenbar hat Stefano eine Art Doppelleben geführt. Von seinem zweiten Leben wusste niemand etwas, denn er und Ernesto haben es sehr geschickt geheim gehalten.“
Er atmete tief ein und bemerkte, dass Lauras Gesicht noch immer ausdruckslos war. Wie konnte das sein? Damals hatte er ihr immer genau angesehen, was gerade in ihr vorging.
Oder auch nicht, dachte er bitter. Offenbar hatte er sich das nur eingeredet. Schließlich hatte er ihr nie etwas bedeutet …
Sag endlich, was du zu sagen hast, und dann verschwinde, ermahnte er sich.
Noch einmal sah er in Lauras ausdruckslose Augen und erklärte schließlich: „Dein Vater hat auf die flehenden Briefe deiner Mutter nicht reagiert und sich geweigert, deine Existenz zur Kenntnis zu nehmen, weil er befürchtete, dass Tomaso ihn dann zwingen würde, sie zu heiraten. Und das konnte er nicht.“ Alessandro atmete tief ein. „Er konnte es nicht, weil er schwul war. Stefano und Ernesto waren ein Liebespaar. Sie hielten es geheim und taten so, als wären sie beide ebenso überzeugte wie zügellose Junggesellen. Aber das war alles nur gespielt. Tomaso sollte nicht erfahren, dass sein Sohn schwul war. Stefano schämte sich deswegen und zog es vor, für einen Playboy gehalten zu werden.“
Laura zeigte keine Reaktion.
„Ernesto hat mir erzählt, dass Stefano nur ein einziges Mal seine Neigung auf die Probe stellen wollte – und das war bei der Geschichte mit deiner Mutter. Eine unerfahrene junge Frau, die nur vorübergehend in Italien war. Er zwang sich, mit ihr zu schlafen, um sich so zu beweisen, dass er nicht schwul war.“ Mit leicht veränderter Stimme fuhr Alessandro fort: „Doch es bewies genau das Gegenteil. Stefano war sich nun sicherer denn je. Und deshalb hat er auch nicht reagiert, als deine Mutter ihm schrieb, dass sie schwanger sei. Denn er wusste, dass Tomaso ihn zwingen würde, sie zu heiraten. Und das hätte er nicht gekonnt.“
Er schwieg einen Moment lang. „Vielleicht tröstet dich noch etwas anderes. Laut Ernesto hat dein Vater sich vergewissert, dass deine Großeltern deine Mutter bei sich aufgenommen hatten und dich aufzogen“, fuhr er fort. „Er wusste also, dass ihr ihn nicht brauchtet.“
Lauras Gesicht war noch immer ausdruckslos. Sie ließ den Blick zum Fenster gleiten, ohne jedoch etwas zu sehen. Erst nach einer langen Weile begann sie mit leiser Stimme zu sprechen.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Mitleid mit meinem Vater haben könnte. Mein ganzes Leben habe ich nur Verachtung und Hass für ihn empfunden.“ Unvermittelt sah sie Alessandro an. „Aber sich dafür zu schämen, was man ist …“
Laura verstummte und wandte den Blick wieder ab. Dann blinzelte sie plötzlich, stand auf und schob ihren Stuhl zurück. Mit gehobenem Kinn sah sie Alessandro an, der sich nun ebenfalls langsam erhob.
„Danke, dass du es mir erzählt hast“, sagte Laura angespannt. „Bitte danke auch Signor Arnoldi in meinem Namen. Vielleicht sollte ich das selbst tun, aber nachdem er sich all die Jahre so bemüht hat, es geheim zu halten …“ Sie schluckte. Dann hob sie erneut das Kinn und fügte hinzu: „Es tut mir leid, dass du extra herkommen musstest. Das war dir sicher nicht angenehm.“
Sie klang so kühl und distanziert, dass Alessandro fragte: „Ist alles in Ordnung?“
„Natürlich“, entgegnete sie knapp. „Wie du schon
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