Verführung der Schatten
schienen ihre eigenen Ohren nicht im Geringsten zu irritieren. „Und die Fänge?“
„Die sind doch ganz klein, Holly.“ Er grinste und sofort bildeten sich Lachfältchen rund um seine Augen. „Die Menschen merken gar nicht, dass da irgendwas nicht stimmt.“
„Aber ich wäre befangen deswegen und würde mich anders benehmen.“
„Oh nein, du würdest lernen, sie allen mit deinem breitesten Lächeln zu zeigen. Die innere Einstellung ist das A und O, wenn man Enttarnung vermeiden will.“ War seine Stimme etwa rauer geworden?
„Wenn ich schnell genug zu diesem Hexer kommen kann, dann …“ Sie verstummte und runzelte die Stirn. „Cadeon, riechst du etwa an meinen Haaren?“
Da sie ihn ertappt hatte, war es eh egal, was er machte, also nahm er sie in die Hand, versenkte sein Gesicht darin und sog tief die Luft ein.
„Was ist denn bloß mit dir los?“, schrie sie und schoss in die Höhe.
„Was denn? Ich muss… äh, wollte nur mal an deinen Haaren riechen.“
„Erst bietest du mir an, mit dir zu reden, und dann ist dir das, was ich fühle, scheißegal!“
„Das stimmt doch gar nicht, Kleines.“
Sie stapfte zu ihrem Handy und löste es vom Ladegerät.
„Wen rufst du denn an?“
„Denjenigen, dem ich mich von Anfang an hätte anvertrauen sollen, statt einem Söldnerdämon, den es mehr interessiert, wie mein Haar riecht, als was ich fühle!“
15
„Du besuchst Verwandte?“, sagte Tim ungläubig. „In Memphis? Aber du reist doch nicht gerne.“
Sie hielt sich das Handy ans andere Ohr. „Es ist so eine Art Notfall. Es ist alles in Ordnung, aber ich dachte trotzdem, ich sollte dort sein.“ Um das Thema zu wechseln, fragte sie: „So, dann erzähl doch mal, wie läuft die Tagung? Ist es nett in Kalifornien?“
Cadeon lief im Zimmer auf und ab. Okay, das war jetzt wohl eindeutig. Der Dämon hatte also tatsächlich einen Annäherungsversuch gestartet und schien jetzt eifersüchtig zu sein. Aber wieso?
Holly war um ein Vielfaches jünger als er, und sie war keine atemberaubende Schönheit wie Nïx. Holly war höchstens eine niedliche Streberin, keine unsterbliche Femme fatale.
Cadeon und sie passten einfach nicht zueinander. Sie kam nicht aus seiner Welt und machte auch keinen Hehl daraus, dass sie keinerlei Interesse daran hatte, ein Teil von ihr zu werden.
„Unsere Arbeiten sind positiv aufgenommen worden“, sagte Tim. „Sie sind richtig gut angekommen. Ich wünschte nur, du könntest auch hier sein.“
In Holly flammte Ärger auf, dass er das ganze Lob einheimste. Sie war die bessere Mathematikerin von ihnen, und das wussten sie beide.
Sie erstarrte. Was war das denn jetzt gewesen? Sie war bei ihm noch nie so leicht reizbar gewesen. Wohl ein weiteres Indiz dafür, dass sie sich in jemanden verwandelte, der sie lieber nicht sein wollte.
„Du fehlst mir“, sagte er, was ihre Gewissensbisse noch verstärkte.
„Du mir auch“, sagte sie. Auf ihre Worte hin setzte sich Cadeon hin, um prompt wieder aufzustehen und weiter durchs Zimmer zu tigern.
„Arbeitest du immer noch an deinem Code?“, fragte Tim. „Ich habe jedenfalls nicht gesehen, dass du etwas Neues hochgeladen hättest.“ Sie teilten sich einen Online-Account für die Datensicherung ihrer Arbeiten und luden ihre neuen Erkenntnisse mit geradezu fanatischem Eifer jeden Abend hoch.
„Damit fang ich gleich morgen früh an.“
„Je eher du damit fertig wirst …“
„Ich weiß, ich weiß. Desto eher hab ich meinen Doktor.“ Es war unglaublich, wie sehr er sie immer unterstützte und sie drängte, ihre Träume zu verwirklichen.
„Ich kann’s gar nicht erwarten, dich wiederzusehen, Schatz.“
Schatz . Warum war ihr eigentlich noch nie aufgefallen, dass Tim sie häufig mit diesem Kosenamen anredete? „Ich weiß. Geht mir genauso.“
Cade knallte die Badezimmertür hinter sich zu und stürmte nur Sekunden später wieder ins Zimmer. Es sah so aus, als hätte er sich Wasser ins Gesicht gespritzt. „Mach Schluss“, stieß er hervor, bevor sie das Handy stumm schalten konnte.
„Wer war das?“, sagte Tim.
„Ein … Cousin von mir.“
„Ich wusste gar nicht, dass du Cousins hast.“
„Ich auch nicht, das habe ich erst vor Kurzem erfahren. Ich habe neue Familienzweige entdeckt, von denen ich bislang nicht die geringste Ahnung hatte.“ Als Cadeon auf sie zugestampft kam, sagte sie hastig: „Aber ich muss jetzt Schluss machen. Soll ich dich später noch mal anrufen?“
„Ja, sicher. Pass auf
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