Verfuhrt auf dem Maskenball
größten Teil deines Lebens aus der Ferne geliebt hast und nun sein Kind aufziehst!“
„Um eines noch möchte ich dich bitten“, sagte Lizzie mutig und sah ihre Tante an. „Aber du hast schon so viel getan, dass ich kein Recht habe, noch mehr zu verlangen.“
Eleanor lächelte. „Du kannst es versuchen, Liebes.“
„Würdest du mich eventuell nach Raven Hall begleiten? Ich habe solche Angst, Tante Eleanor. Ich fürchte mich davor, Mama und Papa alles zu erzählen.“ Sie zögerte. „Und du hast recht. Ich fürchte mich davor, eines Tages Tyrell de Warenne zu begegnen. Er könnte die Wahrheit herausfinden.“
Zehn Tage später sah Lizzie aus dem Fenster von Tante Eleanors schwarz-goldener Kutsche und betrachtete die üppigen grünen Hügel der Grafschaft Limerick. Ihr Herz schlug heftig. Schon vor einer halben Stunde hatten sie die Vororte passiert, und nur noch eine Meile trennte sie von Raven Hall. Eleanor saß neben ihr, Ned neben seiner Kinderfrau Rosie. Er schlief fest, eingelullt von den schaukelnden Bewegungen der Kutsche. Die Gegend kam ihr schmerzlich bekannt vor, und Lizzie nahm jeden Bauernhof bewusst wahr, jede Mauer, jeden blühenden Rosenstrauch. Im vergangenen Jahr hatte sie sich einfach geweigert, ihr Zuhause zu vermissen, jetzt bemerkte sie, dass sie entsetzlich unter Heimweh litt.
Es war schön zurückzukehren, aber sie fürchtete sich auch entsetzlich.
Eleanor nahm ihre Hand. „In ein oder zwei Minuten werden wir durch das Haupttor fahren. Du bist so weiß wie ein Laken, meine Liebe. Kopf hoch. Natürlich wird es einiges Chaos geben, aber sie werden Neddie lieben. Das nicht zu tun ist unmöglich.“
Lizzie brachte ein Nicken zustande, dann schloss sie die Augen und holte so tief Luft, wie sie nur konnte. Sie roch den frischen Morgenregen, das Gras, roch Flieder und Hyazinthen. Mama wird vermutlich einen hysterischen Anfall bekommen, dachte sie bedrückt.
Lizzie erinnerte sich daran, dass sie kein Kind mehr war. Mit sechzehn Jahren hatte sie ihr Zuhause verlassen, sehr naiv und mehr Mädchen als Frau. Im Mai war sie achtzehn geworden. Jetzt war sie eine Frau, eine erwachsene Frau und eine Mutter …
„Da sind sie!“, rief Eleanor. „Sie sind alle herausgekommen, um dich zu begrüßen!“
Lizzie öffnete die Augen und sah Mama, Papa und Georgie vor dem Haus stehen und lächeln. Als die Kutsche näher kam, begann Mama aufgeregt zu winken. Auch Georgie strahlte und winkte. Papa stützte sich auf einen Stock – natürlich plagte ihn die Arthritis –, aber auch er lächelte.
„Ich habe sie so vermisst“, flüsterte Lizzie und hatte plötzlich die Neuigkeiten vergessen, die sie mitbrachte. Für einen Augenblick empfand sie nichts anderes als reine Freude, und sie beugte sich vor, lächelte und winkte zurück.
Eleanor wandte sich an Rosie. „Warte bitte einen Moment, ehe du Ned aufweckst und mit ihm aussteigst“, sagte sie.
Rosie war eine rundliche junge Frau mit Sommersprossen, nur wenig älter als Lizzie. Sie nickte. „Ja, Madam.“
Die Kutsche hielt an. Lizzie wartete nicht ab, bis der Lakai die Tür öffnete. Sie stieß sie auf und sprang hinaus. Ihre Familie eilte auf sie zu. „Mama! Papa! Georgie!“, rief sie.
Als Erste schloss Mama sie in die Arme. „Lizzie! Wie konntest du nur so lange wegbleiben? Oh! Sieh dich nur an! Du bist ganz erwachsen geworden! Hast du dir die Haare geschnitten? Bist du schlanker geworden? Was für ein schönes Kleid!“ Mama weinte, während sie sprach.
„Ich habe mir das Haar geschnitten, und Tante Eleanor war so freundlich, mir ein paar Kleider zu kaufen“, sagte Lizzie. „Ich habe dich vermisst, Mama.“
„Wir alle haben dich vermisst! Und du bist nicht einmal zu Annas Hochzeit nach Hause gekommen!“ In Mamas Augen schimmerten Tränen.
Ehe Lizzie antworten konnte, zog Papa sie an sich und umarmte sie. „Wie hübsch du bist!“, rief er aus. „Aber wo ist mein pausbackiges kleines Mädchen hin?“
Lizzie konnte ihnen schlecht erklären, dass es anstrengend war, einem Kleinkind hinterherzulaufen. „Ich bin noch immer rund genug, Papa.“
Papa streichelte ihre Wange. „Willkommen zu Hause, Kind.“
Lizzie lächelte ihn an. Dann wandte sie sich Georgie zu. Georgie weinte, aber sonst sah sie aus wie immer. Groß und hübsch, das dunkelblonde Haar fiel ihr in Wellen über die Schultern. Die Schwestern gingen aufeinander zu und umarmten sich.
Mit belegter Stimme sagte Georgie: „Wie ich sehe, ist dir das Leben in Wicklow gut
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