Verfuhrt auf dem Maskenball
ich Raven Hall verlassen“, sagte sie und versuchte, die Angst zu unterdrücken, die der bloße Gedanke ihr verursachte. Aber wäre es nicht das Beste, wenn sie jetzt fortginge, nach der Begegnung mit Tyrell? „Ich will nicht, dass du, Papa und Georgie meinetwegen leiden müsst.“
Mama lächelte sie traurig an. „Du warst immer das sanfteste und liebenswürdigste meiner Mädchen“, meinte sie leise. „Du hast keinen einzigen selbstsüchtigen oder unfreundlichen Zug an dir. Du wirst nirgendwo hingehen, meine Liebe. Raven Hall ist dein Zuhause. Papa und ich brauchen etwas Zeit, um uns von dem Schock zu erholen, den du uns versetzt hast, das ist alles.“
Lizzie sank auf die Knie und legte ihren Kopf auf den Schoß ihrer Mutter. Mama strich ihr übers Haar und flüsterte: „Arme Lizzie! Du hast so viel durchgemacht, ganz ohne mich. Arme, arme Lizzie. Wenn wir es nur gewusst hätten!“
„Mir geht es gut“, flüsterte Lizzie. Sie hatte gefürchtet, ihre Mutter würde ihr niemals verzeihen, den Namen der Familie ruiniert zu haben, und trotz allem war sie jetzt sehr erleichtert.
Auf ein Zeichen ihrer Mutter hin erhob sie sich. „Ich werde ein wenig im Garten spazieren gehen, ich war zu lange im Haus. Lizzie, ich habe großen Appetit auf eine deiner Pasteten.“ Mama lächelte ihrer Tochter zu und verließ den Salon.
Lizzie blickte hinüber zu Eleanor, die während des Gesprächs ruhig dagesessen und in ihrem Buch gelesen hatte. „Mama verachtet mich nicht für das, was ich getan habe“, sagte sie.
„Davor hattest du Angst? Ach, armes Kind. Lydia hat dich immer geliebt.“ Eleanor schlug das Buch zu.
Lizzie eilte zur Tür und schloss sie, dann drehte sie sich zu ihrer Tante um. „Etwas Schreckliches ist passiert“, sagte sie.
Eleanor hob fragend die Brauen.
„In Limerick haben wir Tyrell de Warenne und Rory getroffen.“
„Rory ist hier? Hat er dich mit Ned gesehen?“
Lizzie schüttelte den Kopf. „Tante Eleanor, wenn er hört, dass ich Ned meinen Sohn nenne, wird er wissen, dass das eine Lüge ist. Ich muss mit ihm reden und ihm das Versprechen abnehmen zu schweigen.“
Eleanor stand auf. „Rory ist mit Tyrell de Warenne und seinen Brüdern schon seit Jahren befreundet, aber er war erst ein- oder zweimal auf Adare. Nie hätte ich geglaubt, dass ihr euch hier begegnen könntet.“
Lizzie rang die Hände. „Warum hast du mir nicht erzählt, dass er ein Freund von Tyrell ist?“
„Es schien mir nicht wichtig zu sein“, sagte Eleanor ernst. Dann betrachtete sie Lizzie genauer. „Was ist los? Was ist in der Stadt passiert? Darf ich annehmen, dass du endlich Tyrells Bekanntschaft gemacht hast? Rory hat euch doch sicher einander vorgestellt.“
Lizzie wandte sich ab, sodass Eleanor ihr Gesicht nicht sehen konnte. „Ehrlich gesagt, Tante Eleanor, ich habe Tyrell an Allerheiligen auf einem Kostümball getroffen.“ Plötzlich erkannte Lizzie, dass sie nicht weiterwusste, jetzt, da Tyrell sie wiedererkannt hatte und offenbar verärgert war. Sie brauchte Eleanors Rat. Und das bedeutete, dass sie jetzt ehrlich sein musste. „Tante Eleanor, er flirtete mit mir.“
Eleanor machte große Augen.
„Er wollte ein Stelldichein. Aber ich ging nicht hin.“ Es fiel Lizzie schwer, das auszusprechen, denn es erinnerte sie an jene Zeit, in der er sich für sie interessiert hatte. „Mein Kostüm gab ich Anna, zusammen mit meiner Maske. Sie hatte ihr Kleid verdorben. Dann ging ich nach Hause, aber Anna blieb dort. Und jetzt gibt es Ned.“
Eleanor öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne etwas zu sagen. Dann nahm sie Lizzies Hand. „Willst du damit sagen, dass der Mann, dessen Kind du angenommen hast und in den du schon ein Leben lang verliebt gewesen bist, dich in romantischer Absicht umworben hat?“
Lizzie erinnerte sich an seinen Blick, die Art, wie er sich über sie gebeugt hatte, seinen Wunsch, sie im Garten zu treffen. „Ja.“
„Und du willst damit außerdem sagen, dass deine Schwester in jener Nacht das Kind empfing?“
Lizzie nickte.
„Und heute hat Tyrell de Warenne dich wiedererkannt?“
„Nicht nur das, er benahm sich sehr eigenartig. Tante Eleanor, er war zornig.“ Hilflos sah sie ihre Tante an. „Warum?“, flüsterte sie. „Warum sollte er zornig sein? Und warum sagt er immer wieder, ich sei schön? Warum sieht er mich so an?“
Einen Augenblick lang schwieg Eleanor, dann umfasste sie Lizzies Schulter. „Er muss es erfahren. Er muss erfahren, dass Ned sein Sohn
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