Vergebung
auf, entnahm ihm ein Fernglas und beobachtete, wie der Lieferwagen parkte. Sie identifizierte Sonny Nieminen und Hans-Åke Waltari, die von drei Personen begleitet wurden, die sie nicht kannte. Wahrscheinlich nimmt der Bikerklub gerade seine gewohnte Tätigkeit wieder auf.
Als Sonny Nieminen und seine Kumpanen die offene Tür an der Schmalseite des Gebäudes bemerkten, machte sie ihr Handy wieder an. Sie schrieb eine SMS an die Einsatzzentrale in Norrtälje.
DER POLIZISTENMÖRDER R. NIEDERMANN IST IM ALTEN ZIEGELWERK BEI DER OK-TANKSTELLE BEI SKEDERID. ER WIRD GERADE VON S. NIEMINEN & MITGL. DES SVAVELSJÖ MC ERMORDET. TOTE FRAUEN IM BECKEN IM ERDGESCH.
Sie konnte keine Bewegung in der Fabrik wahrnehmen.
Sie ließ sich Zeit.
Während sie wartete, zog sie die SIM-Karte aus ihrem Handy und zerstörte sie, indem sie sie mit einer Nagelschere zerschnitt. Anschließend kurbelte sie das Fenster herunter und warf die Einzelteile hinaus. Sie zog eine neue SIM-Karte aus ihrer Brieftasche und steckte sie in ihr Handy. Die Comviq-Prepaid-Karte, die sie benutzte, ließ sich so gut wie gar nicht zurückverfolgen. Sie rief bei Comviq an und lud 500 Kronen auf die neue Karte.
Es dauerte elf Minuten, bis ein Einsatzbus der Bereitschaftspolizei ohne Sirene, aber mit Blaulicht aus Richtung Norrtälje kam und auf die Fabrik zuhielt. Wenige Minuten später folgten zwei Polizeiautos. Sie berieten sich und rückten dann mit der gesamten Truppe auf die Ziegelei vor. Lisbeth hob das Fernglas. Sie beobachtete, wie einer der Polizisten sein Funkgerät hob und das Kennzeichen von Nieminens Lieferwagen durchgab. Die Polizisten sahen sich um, warteten aber noch ab. Zwei Minuten später sah sie einen weiteren Einsatzbus mit hoher Geschwindigkeit herankommen.
Auf einmal begriff sie, dass jetzt endlich alles vorbei war.
Die Geschichte, die am Tag ihrer Geburt begonnen hatte, endete heute in dieser Ziegelei.
Sie war frei.
Als die Polizisten sich die Waffen aus dem Bus holten, ihre kugelsicheren Westen anlegten und dann über das Werksgelände ausschwärmten, ging Lisbeth in die Tankstelle und kaufte sich ein belegtes Brötchen in einer Plastikverpackung, das sie im Stehen verzehrte.
Es war schon dunkel, als sie wieder zu ihrem Auto zurückging. Als sie gerade die Tür öffnete, hörte sie in der Ferne auf der anderen Straßenseite zwei Schüsse. Sie sah mehrere schwarze Gestalten, die sie für Polizisten hielt, vor der Fassade des Hauptgebäudes stehen. Sie hörte die Sirene, als sich ein weiterer Einsatzbus näherte. Am Straßenrand waren bereits ein paar Privatautos stehen geblieben, die das Schauspiel verfolgten.
Sie startete ihren weinroten Honda, fuhr auf die E 18 hinaus und heimwärts nach Stockholm.
Um sieben Uhr abends hörte Lisbeth Salander zu ihrer grenzenlosen Verärgerung die Türklingel läuten. Sie lag gerade in der Badewanne, in der das Wasser immer noch dampfte. Im Großen und Ganzen gab es wohl nur eine Person, die Grund haben mochte, sie zu besuchen.
Erst wollte sie die Klingel ignorieren, aber beim dritten Läuten seufzte sie auf und wickelte sich ein Badetuch um den Körper. Sie schob die Unterlippe vor, während das Wasser auf den Fußboden tropfte.
»Hallo«, sagte Mikael Blomkvist, als sie die Tür einen Spaltbreit öffnete.
Sie antwortete nicht.
»Hast du die Nachrichten gehört?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich dachte, es interessiert dich vielleicht, dass Ronald Niedermann tot ist. Er wurde heute oben in Norrtälje von einer Gang des Svavelsjö MC ermordet.«
»Nicht im Ernst«, sagte Lisbeth Salander mit beherrschter Stimme.
»Ich habe mit dem wachhabenden Beamten in Norrtälje gesprochen. Es schien sich um eine interne Abrechnung zu handeln. Niedermann ist offenbar gefoltert und dann mit einem Bajonett aufgespießt worden. Am Tatort hat man eine Tasche mit mehreren hunderttausend Kronen gefunden.«
»Aha.«
»Die Gang aus Svavelsjö wurde noch am Tatort verhaftet. Sie haben so heftigen Widerstand geleistet, dass die Polizei noch ein Sondereinsatzkommando aus Stockholm anfordern musste. Um sechs Uhr abends haben sie dann endlich kapituliert.«
»Aha.«
»Dein alter Freund Sonny Nieminen aus Stallarholmen hat ins Gras gebissen. Er ist total ausgeflippt und wollte sich den Weg freischießen.«
»Gut.«
Mikael schwieg ein paar Sekunden. Die beiden musterten sich abwartend durch den Türspalt.
»Stör ich?«, erkundigte er sich.
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich war gerade in der
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