Vergebung
bat Valentina um Entschuldigung, bevor er die Hände ausstreckte und ihr mit einem einzigen Griff das Genick zwischen dem zweiten und dritten Halswirbel brach. Dann ging er zu dem blonden Mädchen im Bett, dessen Namen er nicht wusste. Sie blieb völlig passiv liegen und leistete keinen Widerstand. Anschließend trug er die Leichen ins Erdgeschoss und versenkte sie in einem der wassergefüllten Becken. Endlich fühlte er eine Art von Frieden.
Eigentlich hatte er nie vorgehabt, länger in der Ziegelei zu bleiben. Er wollte nur bleiben, bis der massive Polizeieinsatz vorbei war. Er schor sich die Haare und ließ sich einen Stoppelbart wachsen, um anders auszusehen. Er fand einen passenden Overall, der einem der Arbeiter von NorrBygg gehört hatte. Nachdem er ihn angezogen und dazu eine vergessene Schirmmütze mit Firmenaufdruck aufgesetzt hatte, steckte er sich einen Zollstock in eine der Taschen am Hosenbein und fuhr zur OK-Tankstelle an der Straße, wo er einkaufte. Von der Beute, die er beim Svavelsjö MC gemacht hatte, besaß er reichlich Bargeld. Wenn er gegen Abend einkaufte, sah er aus wie ein ganz gewöhnlicher Arbeiter, der auf dem Heimweg Station machte. Er schien niemandem aufzufallen. Er gewöhnte sich an, ein- oder zweimal pro Woche einzukaufen. In der OK-Tankstelle grüßten sie ihn immer freundlich und kannten ihn bald.
Von Anfang an verbrachte er viel Zeit damit, die Gespenster abzuwehren, die das Ziegeleigebäude bevölkerten. Sie saßen in den Wänden und kamen nachts hervorgekrochen. Dann hörte er, wie sie in der Halle umherwanderten.
Er verbarrikadierte sich in seinem Zimmer. Nach ein paar Tagen hatte er jedoch genug. Er bewaffnete sich mit einem Bajonett, das er in der Küche gefunden hatte, und ging hinaus, um sich den Monstern zu stellen. Das musste endlich mal ein Ende nehmen.
Und plötzlich entdeckte er, dass sie vor ihm zurückwichen. Zum ersten Mal in seinem Leben konnte er über ihre Gegenwart bestimmen. Sie flohen, als er sich näherte. Er sah ihre Schwänze und deformierten Körper hinter Versandkisten und Schränke schlüpfen. Er brüllte sie an, und sie flohen.
Verblüfft ging er in sein gemütliches Zimmer zurück, wo er die ganze Nacht sitzen blieb und darauf wartete, dass sie zurückkamen. In der Dämmerung setzten sie abermals zum Angriff an, und er stellte sich ihnen noch einmal. Sie flohen.
Niedermann schwankte zwischen Panik und Euphorie.
Sein Leben lang war er in der Dunkelheit von diesen Wesen gejagt worden, und jetzt spürte er zum ersten Mal, dass er die Situation im Griff hatte. Er tat nichts. Er aß. Er schlief. Er überlegte. Er empfand Ruhe und Frieden.
Die Tage wurden zu Wochen, und es wurde Sommer. Im Transistorradio und in den Zeitungen konnte er mitverfolgen, wie die Jagd auf Ronald Niedermann langsam einschlief. Mit Interesse verfolgte er die Berichte vom Mord an Alexander Zalatschenko. Zum Schießen. Ein Psycho beendete Zalatschenkos Leben. Im Juli wurde sein Interesse noch einmal vom Prozess gegen Lisbeth Salander geweckt. Mit Verblüffung hörte er, dass sie freigesprochen wurde. Das gefiel ihm gar nicht. Sie war frei, während er gezwungen war, sich zu verstecken.
In der OK-Tankstelle kaufte er sich die neue Millennium und las das Themenheft über Lisbeth Salander und Alexander Zalatschenko und Ronald Niedermann. Ein Journalist namens Blomkvist hatte ihn darin als pathologischen Mörder und Psychopathen porträtiert. Niedermann runzelte die Stirn.
Dann war es plötzlich Herbst, und er war noch immer nicht weitergezogen. Als es kälter wurde, kaufte er sich an der Tankstelle einen Elektroofen. Er konnte sich selbst nicht erklären, warum er die Fabrik nicht verließ.
Ein paarmal waren Jugendliche auf dem Hof vor der Ziegelei aufgetaucht und hatten ihre Autos dort geparkt, aber niemand hatte sein Dasein gestört oder war ins Gebäude eingebrochen. Im September parkte dort ein Auto, aus dem ein Mann in blauer Windjacke stieg, der die Türen untersuchte, auf dem Grundstück herumlief und schnüffelte. Niedermann beobachtete ihn aus dem Obergeschoss. In regelmäßigen Abständen machte sich der Mann Notizen. Er blieb zwanzig Minuten lang, bis er sich ein letztes Mal umsah, wieder in sein Auto setzte und das Gelände verließ. Niedermann atmete auf. Er hatte keine Ahnung, wer dieser Mann gewesen war, aber es hatte so ausgesehen, als hätte er sich einen Überblick über die Anlage verschaffen wollen. Dass Zalatschenkos Tod eine Inventarisierung des
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