Vergeltung
wäre von meiner Familie verstoßen worden, von der
Gemeinde. Ich hätte mein Leben verloren.«
Rebekka wurde schwindelig. Sie schloss die Augen in dem Versuch,
einen Sinnzusammenhang herzustellen, die Logik in dem Ganzen zu sehen.
»Sie haben auch Lene Eriksen umgebracht. Warum?« Die Frage brannte
auf ihren Lippen, musste heraus.
Jane Mathiesen nickte langsam, dann lächelte sie stolz, und ihre
Zähne blitzten kurz wie die eines Raubtiers.
»Ja. Lene hat schnell begriffen, dass etwas nicht stimmte. Ich habe
zugenommen, mir war dauernd übel, und sie hat zwei und zwei zusammengezählt.
Eines Tages hat sie mich ausgefragt, ich bin zusammengebrochen und habe ihr
alles erzählt. Ich hatte geglaubt, dass sie meine Freundin wäre. Aber das war
sie nicht. Sie hat meinen Zusammenbruch genossen und mir gedroht, John von der
Schwangerschaft zu erzählen. Unsere Beziehung zu zerstören, dafür zu sorgen,
dass er mich widerlich findet. Sie hat mich gezwungen ,
sie umzubringen, es gab keinen anderen Ausweg.« Jane Mathiesen räusperte sich.
»Eines Abends habe ich sie angerufen, da ich wusste, dass sie allein zu Hause
war. Ich habe sie gebeten, sich unten am Fjord mit mir zu treffen, und gesagt,
dass ich über das Ganze nachgedacht hätte und dass sie recht habe. Ich würde
mit John brechen. Sie ist sofort gekommen. Ich hatte Kuchen mit, und wir haben
uns unten bei dem Schilf ins Gras gesetzt. Lene war so naiv. Als sie mir den
Rücken zugewandt hat, um mehr Kaffee einzugießen, habe ich zugestochen, immer
wieder …«
Der Mond tauchte hinter einer dunklen Wolke auf, und Jane Mathiesens
Gesicht leuchtete im Dunkeln. Ihre Augen glänzten, dann verhüllte die
Dunkelheit wieder ihre Züge.
»Niemand hat mich verdächtigt. Niemand. Ich wurde natürlich von der
Polizei verhört, was unangenehm war. Ich hatte Angst, aber ich habe mir gesagt,
dass Gott schon auf mich aufpasst. Es war ja nicht meine, sondern Lenes Schuld.
Für John war es schlimmer. Die Polizei hat ihn wiederholt verhört und ihm hart
zugesetzt, aber ich habe ihn gestützt, ihm gesagt, dass er das einfach
durchstehen muss, sie hatten schließlich keine Beweise gegen ihn. Er war
unschuldig. Ich habe schnell eingesehen, dass ich fort musste, damit niemand
etwas von meiner Schwangerschaft mitbekam. Ich habe so getan, als hätte mich
der Mord an Lene sehr mitgenommen, als hätte ich Angst. Das konnten alle
verstehen. Meine Eltern haben mir eine Arbeit in einem christlichen Pflegeheim
in Stockholm besorgt. Ich habe im Heim gewohnt, Kost und Logis dafür bekommen,
dass ich jeden Tag ein paar Stunden sauber gemacht und mich um die alten
Bewohner gekümmert habe.«
Rebekka verlagerte das Gewicht von einem Bein auf das andere. Bei
der Bewegung krümmte Jane Mathiesen den Finger um den Abzug und zielte auf sie.
»Ganz ruhig, Jane«, flüsterte Rebekka. »Erzählen Sie weiter.«
»Die Alten im Pflegeheim wurden regelmäßig von einem Arzt versorgt,
Gösta Svensson. Ich kannte ihn eigentlich nicht, wusste nur, dass er alt und
seine Frau gerade gestorben war. Es ging das Gerücht um, dass er hohe
Spielschulden haben sollte. Irgendwann hat er mich abgefangen und gefragt, wann
es denn so weit wäre. Ich habe einen Schock bekommen. Ich habe schließlich
alles getan, um meinen Bauch zu verstecken, mich in zu weite Kleider und Schals
gehüllt. Außer ihm hat mich nie jemand auf meinen Bauch angesprochen. Er hat
natürlich gemerkt, dass etwas nicht stimmte, und eines Tages, als wir allein
waren, hat er mich gefragt, ob ich daran interessiert wäre, das Kind zu
verkaufen. Er kannte ein Ehepaar, das sich verzweifelt ein Kind wünschte, das
sie als ihr eigenes Kind ausgeben konnten. Das Angebot kam wie ein Geschenk des
Himmels. Es hätte nicht besser kommen können. Ich habe dem Pflegeheim gesagt,
dass ich für ein paar Wochen in Dänemark Ferien machen würde, bin aber stattdessen
in seine Villa gezogen und habe ein paar Tage später in seiner Praxis das Kind
zur Welt gebracht. Er hat sich um den ganzen Papierkram gekümmert und das Kind
sofort mitgenommen. Ich habe fünfundzwanzigtausend Kronen bekommen, den Rest
hat er behalten. Mir war das gleichgültig. Ich wollte nur das Kind loswerden
und nach Hause zu John, meinen Eltern und der Gemeinde. Ich wollte einfach nur
mein altes Leben zurück.«
Sie seufzte tief, und Rebekka bewegte sich vorsichtig. Ihr linker
Fuß schlief langsam ein und ihre Finger waren steif durch das Festhalten an den
kalten Metallstangen.
»Keine Tricks.«
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