Vergessene Welt
tröstender
Stimme. »Jetzt ist alles wieder okay … Dem Baby geht es gut … Ich werde jetzt
diese Gurte lösen … Du kannst mir zusehen …«
Der Kopf vor dem
Fenster war so groß, daß er den Rahmen komplett ausfüllte. Sarah sah das Spiel
der mächtigen Halsmuskeln unter der Haut. Das Maul bewegte sich leicht. Ihre
Hand zitterte beim Öffnen der Gurte.
»So ist’s recht
… Deinem Baby geht es gut … Siehst du, wie gut es ihm geht?«
Malcolm, der zu
ihren Füßen kauerte, flüsterte: »Was tust du denn da?«
Ohne den
besänftigenden Tonfall zu verändern, erwiderte sie: »Ich weiß, das klingt verrückt
… Aber es funktioniert bei Löwen … manchmal … Das hätten wir … Dein Baby ist
frei.«
Sarah wickelte
das Kleine aus der Decke, nahm ihm die Sauerstoffmaske ab und redete dabei die
ganze Zeit mit ruhiger Stimme weiter. »So … jetzt muß ich es nur noch –« Sie
hob das Baby in die Höhe. »– zu dir bringen …«
Plötzlich zog
das Weibchen den Kopf zurück und stieß ihn dann seitlich gegen das Glas, das
mit lautem Krachen zu einem weißen Spinnennetz zersplitterte. Sarah konnte nun
nicht mehr hindurchblicken, aber sie sah einen sich bewegenden Schatten, und
unter dem zweiten Stoß brach das Glas aus dem Rahmen. Sarah ließ das Baby in
das Metallbecken fallen und sprang zurück, als der Kopf durch die Öffnung stieß
und sich tief ins Caravan-Innere hineinschob. Blut lief dem Muttertier von der
Schnauze, es hatte sich an den Glassplittern verletzt. Doch nach der anfänglichen
Gewalt wurde es jetzt sehr behutsam in seinen Bewegungen. Es beschnupperte das
Baby, zuerst den Kopf und dann langsam am Körper entlang. Schließlich legte es
dem Baby behutsam den Unterkiefer auf die Brust. So verharrte es unbeweglich
für lange Zeit. Nur die Lider blinzelten langsam, die Augen starrten Sarah an.
Malcolm, der auf
dem Boden lag, sah Blut von der Anrichte tropfen.
Er wollte sich
aufrichten, doch Sarah drückte ihm den Kopf wieder nach unten. »Pst«, flüsterte
sie.
»Was macht sie?«
»Sie fühlt den
Herzschlag.«
Der
Tyrannosaurier grunzte, öffnete das Maul und faßte das Kleine sanft mit den Zähnen.
Dann zog er den Kopf mit dem Baby behutsam durch das zerbrochene Glas zurück.
Draußen schien
das Muttertier ihr Baby auf die Erde zu legen, doch das konnten sie nicht
sehen. Der Saurier bückte sich, und der Kopf verschwand.
Malcolm
flüsterte: »Ist es aufgewacht? Ist das Baby wach?«
»Pst!«
Von draußen war
nun Schlabbern zu hören, unterbrochen von sanftem, gutturalem Knurren. Malcolm
sah, daß Sarah sich ein Stückchen aufrichtete und versuchte, aus dem Fenster zu
sehen.
»Was ist los?«
flüsterte er.
»Sie leckt das
Kleine. Und stupst es mit der Schnauze an.«
»Und?«
»Das ist alles.
Sie tut es immer wieder.«
»Was ist mit dem
Baby?«
»Nichts. Wenn
sie es anstupst, rollt es, als wäre es tot. Wieviel Morphium haben wir ihm beim
letztenmal gegeben?«
»Keine Ahnung«,
sagte er. »Woher soll ich denn das wissen?«
Malcolm blieb
auf dem Boden liegen und horchte auf das Schlabbern und Knurren. Und schließlich,
nach einer Ewigkeit, wie es ihm vorkam, hörte er ein leises schrilles Quieken.
»Das Baby wacht
auf. Ian, es wacht auf!«
Malcolm kroch
auf allen vieren zum Fenster und sah gerade noch, wie das Muttertier das Baby
ins Maul nahm und auf den Waldrand zuging.
»Was macht sie
jetzt?«
»Ich vermute,
sie bringt das Kleine zurück.«
Der zweite
Erwachsene kam in Sicht, er folgte dem ersten. Malcolm und Sarah sahen zu, wie
die beiden über die Lichtung davonzogen.
Malcolm atmete
erleichtert aus. »Das war knapp«, sagte er.
»Ja, das war
knapp.« Sarah seufzte und wischte sich Blut vom Unterarm.
Auf dem Hochstand drückte Thorne auf die
Sprechtaste. »Ian! Melden Sie sich! Ian!«
»Vielleicht
haben sie das Funkgerät ausgeschaltet«, sagte Kelly.
Es begann,
leicht zu regnen, die Tropfen prasselten auf das Metalldach des Unterstands.
Levine sah durch das Nachtsichtgerät zur Klippe hinüber. Ein Blitz erhellte die
Nacht, und Thorne fragte: »Können Sie sehen, was die Tiere tun?«
»Ich kann’s«,
sagte Eddie. »Es sieht aus … es sieht aus, als würden sie weggehen. «
Alle begannen
zujubeln.
Nur Levine blieb
stumm und beobachtete weiter durch sein Gerät. Thorne wandte sich an ihn.
»Stimmt das, Richard? Ist alles in Ordnung?«
»Um ehrlich zu
sein, ich glaube nicht«, sagte Levine. »Ich fürchte, wir haben einen schweren
Fehler gemacht.«
Durch das
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